Montag, 31. Dezember 2007

Review: Boxer's Omen [ 29/10/1983 ]

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Nichts bereitet Einen wirklich adäquat auf das entheogene Seherlebnis Boxer's Omen vor, ein Nervenkitzel im Vollrausch mit zwanghaft diktierter Leidenschaft für Provokation und Zumutung. Eine cineastische Herausforderung, die weder durch vorheriges Lesen von Beschreibung und aufzählenden Kommentaren, das Wissen um Kuei Chi-hungs staunenswerten Drang nach Grenzüberschreitung im ausschweifenden Taumel noch die Kenntnis seiner bisher veranstalteten Filmography glaubhaft vermittelt werden kann. Auch wenn bei Letzterem in makaber-farcenhaften Arbeiten wie Killer Snakes, Corpse Mania und Bewitched auch die eine oder andere Eskapade erlaubt und so sicherlich bereits klare Ansagen bezüglich des etwaig kommenden Gustos gemacht wurde. Bewitched sogar eine Art chill-and-thrill Prequel zu der hiesigen, geradezu obsessionellen Besudelung darstellt und in formulierter Raffung auch den Auslöser des vorliegenden Schwarzen Zauberspiel im psychedelisch getönten Märchengewand darstellt.

Wo dort das Böse besiegt und besiegelt wurde, steht es hier wieder auf, mit vereinten Kräften wird die Rache in Schandtat vollzogen und der ewige Kampf erneut vorgeführt. Anlass für Regisseur Kuei, im Jahre des Exzesses 1983 noch einmal und auch wie fast als Abschluss seiner Karriere in die Selbstherrlichkeit gnadenloser Lauterkeit zu verfallen, auf die objektive Abwägung zugunsten des Herausarbeitens wirksamer esoterischer Effekte und selbstzweckhafter Groteskheit zu verzichten und die Schattenexistenz unheilvoller Illusionen hervorbrechen zu lassen. Ein irrationales, aber dafür konsequent radikales AufdieSpitzetreiben zum krönenden Finale, ohne dieser Gedärm-Orgie einen kalkulierbaren Seriencharakter zu verleihen. Ein Uberwältigenkönnen mit Hilfe von Entrückung, Magie, der Sinnenfreude und des -schmerzes, der Neugier statt der Emotionalität. Eine Verbeugung vor der Einbildungskraft vorzüglicher Lebhaftigkeit, die von Tageslicht ausgesperrt ihre liebste Zuflucht in der greulichen Dunkelkammer ganz hinten im Gehirn findet. Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen:

Triadenhäuptling Chan Hung [ Philip Ko ] hat nicht nur Ärger mit konkurrierenden Festlandchinesen, sondern eben auch mit ansehen müssen, wie sein Bruder Chan Wai [ Johnny Wang ] vom gegnerischen Boxer Ba Bo [ Bolo Yeung ] hinterrücks in einem kickfight event in den Rollstuhl niedergeknüppelt wurde. Um es dem feigen Angreifer heimzuzahlen, geht er nach Thailand und fordert den vermeintlichen Sieger zur Revanche heraus. Doch auf dem Auslandstrip stößt er vermittels Abt Qing Zhao [ Elvis Tsui ] noch auf ganz andere Gefahren, ausgelöst durch Master Jing Chao [ Lam Hiu Yin ], deren Bekämpfung ihn nach Nepal, dem Dach der Welt führen.

Bis der Götzendienst soweit ist, hält wieder Thailand in all seiner fremdländischen, erneut rustikal-provinziellen [Alb]Traumexotik für den Einbruch des Grausens in die einstmals harmlose Realität her. Ein Widerspiegeln elementarer Ängste der Zeit findet nie statt, vielmehr zeichnet die Abwesenheit der vermeintlichen Zivilisation samt ihrer Sitte, Anstand und Regeln das Geschehen nach dem Eintritt in die Aura der Mystik aus. Statt der möglichen Ausarbeitung des dräuenden Bandenkrieges oder der Konzentration auf den Karate Tiger 3 Plot samt Sex galore Einheit wird alles Vorhandene an Storyoptionen schnell fallen gelassen, was der beizeitigen Labilität und Perspektivlosigkeit dient. Eine Reise von geistiger Gesundheit zum entmachtenden Wahnsinn, von eindeutig greifbarer Bedrohung zum beispiellosen und maßlosen Übel, vom Hier und Jetzt ins Twilight Zone Nirgendwo von Halbdunkel, Umriss und Schattierungen. Ein plötzlicher Überfall der erstarrten Fassungslosigkeit, die mit bestürztem Befremden alles bisher Angenommene um 180° dreht und so Beteiligten und Beobachter den Boden sicherer Erfahrungen einfach wegzieht. Erst Prüfung des Verstandes, dann ein tiefer Fall ins Ungewisse, mit täglich wachsendem Entsetzen, in der der Horror schon und eigentlich auch nur aus der reinen Irritation entsteht. Das Sehen und Erleben einer torsohaften Abfolge von Abscheu, Phobie und auch Panik auslösenden Szenen, die in geradezu pfarramtlich salbungsvoller Umgebung buddhistischer Tempel angesiedelt sind.

Ein Blutegelbad. Das Wiederbeleben von konservierten Wasserleichen, die man im Magen eines frisch getöteten Krokodils aufbettet. Das nächtliche Hinauswürgen eines Schlangenaals. Das Verköstigen mit eigenem Wiedergekäutem und fremden Erbrochenem. Maden, die aus Augenhöhlen gekrochen kommen. Das versuchte Erdrosseln mit frisch abgerissenen Halssträngen.

Fern von Benehmen, Betragen und Geschmack oder auch einer zeitlichen und kulturellen Achse wird eine weitgehend lose Aneinanderreihung anfangs durchaus amüsanter, schon durch ihre kitschig-bunte Absurdität auch lächerlicher, aber bald schlichtweg abstoßender gross out Akte voll Unstern und Marter dargeboten, die auch zumeist die so genannten Eckpfeiler der Angst, der Lust und der Komik vollkommen vernachlässigen. Und jede metaphorische Signifikanz als auch die Ambivalenz missachten, da man von derlei nomadischem Geschehen nicht mehr angezogen, auch nicht abgestumpft, sondern trotz all dem Erstaunen oft nur noch angewidert wird. Der Verzicht auf die Erlösung durch schützende Genrekonvention, einer narrativ vorhersehbaren Schablone oder auch einer Identifikation mit den handelnden Figuren sowie die Beklemmung und Bestürzung der lokalen Notorischen Weltangst tun ihr Übriges. Allerdings muss man attestieren, dass nicht wie heutzutage üblich eine reine torture session abgeliefert wird, sondern Inszenierung samt Überreste von gebrauchter und missbrauchter Dramaturgie trotz aller abscheuerregenden Unappetitlichkeit immer noch in Vordergrund stehen. Auch eine künstlerische Qualität beanspruchen, und Kamera / Musik / Schnitt entsprechend dem offenkundig gut genutzten Produktionsvolumen erstaunlich tadellos sind.

Sicherlich kann man das folgende Spektakel in der Ablehnung des Normalen auch zwischen den Blut-und-Eingeweidestücken des Théâtre du Grand Guignol, dem Zirkusshow-Schaustellerstil eines Alejandro Jodorowsky und dem paradoxen Fanal Ein andalusischer Hund setzen, sich den Zusammenhang zwischen all den Bildern zusammen dichten und auch auf verschiedene Deutungsebenen begeben. Höchstwahrscheinlich wollte Kuei abseits jeder moralischen Forderungen, der abermalig pastoralen Einführung in buddhistisches Philosophieren und der Handlungsmotivation durch Schöpfung, Tod und Wiedergeburt/Auferstehung wiederum nur die Sensationslüste und Spekulationsgier in die Abgründe der eigenen Seele führen. Der Zwang, in der visuellen Herausforderung ständig das Vorherige überbieten zu müssen führt zu einer kurios intensiven "Unterhaltungs"form mit oft surrealen, gleichzeitig naturalistischen und übernatürlichen Phänomenen, delirant umher irrend zwischen Abenteuer, Ahnenkult, Fantasy, Science fiction und Phantasmagorie.
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Review: Bewitched [ 11/09/1981 ]

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Es ist leider nicht bekannt, wie gut und fest Regisseur Kuei Chi-hung Anfang der Achtziger geschlafen hat, bevor er 1984 in die USA auswanderte und sich dort zur Ruhe setzte. Tatsache ist, dass der geneigte Zuschauer, sollte er sich denn seine letzten Arbeiten ohne Unterbrechung im Akkord ansehen, wohl viel von den Albträumen erahnen kann, die der durchaus kreative Geist gehabt haben muss. Trotz einiger Komödien noch nie bekannt dafür gewesen, sich der leichten Unterhaltung hinzugeben, war Kuei Mit-Initiator der plötzlich aufschwappenden Horrorwelle im Hongkong Kino als auch ihr diensteifrig rastloser Antreiber; immer zur Stelle, um das nächste Tabu, die nächste Grenzüberschreitung in Angriff zu nehmen. Leider entging dem Publikum in den letzten Jahren seiner Tätigkeit das spezielle Händchen für die tatkräftig pfundige Action; Kueis zweites Standbein wurde zugunsten von Wurmspeiereien, Pestbeulen, Giftbrühen und anderen Geschmacksverirrungen in ihresgleichen suchender Abscheulichkeit vernachlässigt. Ein Schicksalsschlag für Diejenigen, die die schnelle Attraktion bevorzugen und gleichzeitig ein Glücksfall für die gorehounds, die weder das Kino der Suggestion noch die Kunst der Andeutung suchen.

Auch Bewitched legt gut los: Ein Familienpicknick im Grünen hat nicht einmal die klitzekleinste Chance, so etwas wie Friedlichkeit und Idylle auch nur anzutäuschen, wird doch binnen weniger Sekunden die von Ameisen bedeckte Leiche eines kleines Mädchens gefunden. Der ermittelnde Inspector Bobby Wong King-sun [ Melvin Wong ] macht über einen Augenzeugen, einen Taxifahrer und die Schuluniform der Verstorbenen rasch den Täter ausfindig. Ihren eigenen Vater Stephen Lam Wai [ Ngaai Fei ], der sich auch geständig zeigt, dabei zwar jegliche Schuld ablehnt, trotz psychologischem Gutachten aber trotzdem zum Tod durch Erhängen verurteilt wird. Doch vorher erbittet er noch ein Gespräch mit seinem Gegenüber Wong, der die ganze Angelegenheit plötzlich mit anderen Augen sieht.

Was der Zuschauer abgebildet bekommt, lässt auch bei ihm gewissen Spielraum erweitern und bisher vorenthaltene Kenntnisse hinzufügen; abseits des blanken Kontextes im Film sogar. Vor allem aufgrund der baldig anschließenden Rücblende durch Stephens Erzählung, die seine Sicht der Ereignisse präsentiert, wird nicht nur die materielle Struktur späterer Exploiter vorweggenommen – nahezu grundsätzlich arbeiten fast alle Cat 3 Werke mit genau demselben Aufbau von narrativer Aufdeckung durch Befragung eines Polizisten – . Sondern auch das exakte zeitgenössische Gegenstück zum Vorschein geholt. Herman Yaus fahl leuchtender Gong Tau: An Oriental Black Magic [ 2007 ], der seit langer Zeit nicht nur der erste ernstzunehmende Vertreter aktuellen kantonesischen Horrors, mit handfester Konsistenz der inszenatorischen Repräsentation ist, sondern auch das Interface zur eigentlichen Hochphase der Gattung eben von 1974 - 1983 aufweist. Die Schnittstelle zwischen der Erneuerung und der Rückkehr. Allerdings lag der bisher als Inspiration angenommene Querverweis immer ein wenig auf dem zumindest im Originaltitel gleich lautenden Black Magic - Das Omen des Bösen [ 1975 ], dabei ist das vorliegende Werk viel dichter an der Quelle der erleuchtenden Anregung justiert.

Auch wenn sich die konkrete Beeinflussung bloß in der Eingebung der speziellen Ausgangsidee und dem grob skizzierten Setting samt der plastischen, nicht gleich parabolischen Übernahme einiger spezifischer Szenen niederschlägt, sind die Gemeinsamkeiten doch charakteristisch hervorstechend genug, um Leitgedanke, Grundgerüst und Phasengrenze nun doch unübersehbar zuordnen zu können:
Augenscheinlich evident vor allem die Episode des weltmännischen Stadtmenschen, der auf Urlaub in Thailand seinen Flirt mit einer Einheimischen zu weit treibt und der scheinbar harmlosen Mätresse das Gefühl der großen Liebe und ihrer Einzigartigkeit gibt. Um in heimischen Gefilden das "Aus den Augen, aus dem Sinn" Motto zu betreiben. Um prompt von der unerbittlichen Rache der Frau heimgesucht zu werden.
Auch ein nächtlicher Angriff aus dem Nichts auf einen Polizisten, der gerade seine Streife vollzieht, wurde nahezu im offenkundigen 1:1 illustriert; Bewitched als das intuitive Urbild der Vernetzung der vorhandenen Ressourcen, allerdings nicht das Idealbild.

Zu weit ist man entfernt von dem Test des Charakters im Dämmerzustand, der Schattenfamilie des gotisch poetischen Märchens, dem optischen Restlichtverstärker. Man weist keine konkrete Angriffsstrategie, keine pechschwarze Belagerung oder beunruhigende Rationalität auf, sondern bezieht sich viel auf das Hinterland der fremdländischen Exotik, der Andere Länder, Andere Sitten - Phantasie, dem überfarbenen Kontrast zwischen der urbanen Moderne und dem bäuerlichen Vorleben. Ein Gegensatzpaar, dass sich in einem seltsam buntschillernden Regenbogen voll Mythenmixturen zu sehr darauf konzentriert, seinen eigenen Impresario wie Albus Dumbledore auf Hogwarts zu zelebrieren statt die Wirklichkeit zu manipulieren oder die Angst direkt inmitten der Realität zu holen.

Zu sehr Abrakadabra-Trash, ausgelassen überdrehter Surrealismus, paradoxe erzieherische Fabel mit ethischer Lektüre – "Simultaneously, the moral of this story is to admonish people against casual sex and to be on guard against witchcraft." – statt der symphonischen Projektion dunkler Zweifel und Widersprüche. Stilistische Unterschiede, die sich im Verzicht der Ambivalenz formulieren. Abstriche nicht nur im direkten Vergleich, sondern auch bei abstrakter Betrachtung müssen besonders im Verhältnis der materiellen Substanz zur zeitlichen Ausdehnung gemacht werden. Abgesehen davon, dass Stephens Bericht ausschließlich als Alibi für ein rein touristisches Abklappern diverser lokaler Sehenswürdigkeiten von sowohl der Stadt Nanyang in der Provinz Henan als auch dem Badeort Pattaya und entsprechend neckischen Wasserspielen am Strand oder in der Badewanne herhalten muss. Und sich dort die pop Art - Dramaturgie bar dem Geheimnis der Frau an sich, dem Mysterium ihrer Erotik und der sexuellen Unterwerfung des männlichen Geschlechts fast selber den sprichwörtlichen Strick nehmen kann. Das Aufsuchen geographischer Attraktionen setzt sich unter leicht verändertem Anliegen bei fortführender Erkundung von Cop Bobby auch noch einmal von vorne fort. Eine rein oberflächliche Wiederholungsstrategie, die wohl dem ansässigen Reiseunternehmer als Wiedergutmachung für entgangenen Verdienstausfall das Geld in die Kasse spülen soll. Nach Konsum der sich im Anschluss vollziehenden Gräueltaten überlegt man sich nämlich mehrmals, ob man die nächste standard class Stadtrundfahrt nicht doch lieber ausfallen lassen sollte; die Vergeltung der geschassten Dorfschönheit überschlägt jede Verhältnismäßigkeit eines gebrochenen Herzens nämlich schon mit Schritt Nummer Eins.

Zwar wird auch der Sadomasotrip noch hinausgezögert und ein scheinbar ewig dauernder Fakirwettstreit zwischen Guter und Böser Magie eingeschnitten, der wie aus dem Handbuch für kleine Geisterbanner zitierend ein "Die Hexe und der Zauberer - Special Collection" abfeiert. Doch ab dem Vollzug des Fluchs, denn die Dame schon vorsichtshalber mit deadline über ihrem vermeintlichen Prinzen beschworen hat, befindet sich Regisseur Kuei samt seinen Gefolgsleuten von der Maske schlagartig in hartnäckiger Präsentierlaune. Groß in Mode ist erneut das Hantieren mit allerlei Maden, das Herumpanschen mit abartigem Sud aus Schweiß, Blut und Gedärm, unangenehm scheußlicher Entstellung von Körper und Gesicht und fratzenhaft grässlicher Vermummerei. Wobei man im Nachhinein nur dankbar sein kann, dass, auch wenn die Effekte durchaus ihren Zweck des eindringlichen Ekels erfüllen und mit Liebe und Einfallsreichtum hausgemacht, sie lange noch nicht auf der Höhe der Zeit und doch unmissverständlich als fake zu identifizieren sind.
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Sonntag, 23. Dezember 2007

Review: Corpse Mania [ 03/06/1981 ]

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1974 hat Shaws Experte für das Grobe, Regisseur Kuei Chih-hung das einschneidende Horrorgenre mit Ghost Eyes mit aus der Taufe gehoben, Anfang der Achtziger trägt er es mit Samthandschuhen wieder zu Grabe. Zwar sollte das Metier noch einige Monate auch in der Totengruft erblühen, bevor es sich dem schrill aufbereiteten Unterhaltungsjahrzehnt geschlagen gibt; nach Corpse Mania war aber das letzte Tabu gebrochen, die Zerstörung durch die Deutlichkeit bereits voran geschritten und die Balance aus Neugier und Angst, aus Faszination und Beklemmung vorübergehend zu sehr in die Ecke der Abscheulichkeit gewichen. Aus dem furchtsamen Blick in die Abgründe, dem Nervenkitzel beim Schock, der Lust und der Neugier beim Betreten der Orte des Schauderns und des Fürchtens samt heilsamer Katharsis ist dieser Schritt scheinbar einer zu weit in die Urängste hinein gewesen.

Die Eleganz des Phantastischen, der Reiz des Bösen, der Umgang mit dem Jenseitigen, der Bereich des Wunderbaren, des Nichtrealen, der Fiktion wird abgeschnürt und gegen Memento te hominem esse und Memento mori ausgetauscht. Bedenke, dass du ein Mensch bist. Bedenke, dass du sterben musst.
Der antike Mahnruf nimmt im Film selber zwar nur den Aufhänger der Geschichte ein, die diese Verletzung des Bannes zwischen dem Wunsch nach dem Blick und der Furcht vor ihm gar nicht als unbedingten Auslöser bedurft hätte. Eine optische Illusionspraxis. Die eigentliche Handlung würde auch gut ohne ihre trügerische Tendenz zur Transgression, zur ablenkenden Überschreitung auskommen und hat auch genügend weiteres, im Vergleich zum Prolog geradezu harmloses Material für die Befriedigung der Schaulust auch in der Inszenierung des Todes zu bieten:

Guangzhou, irgendwann in den 30ern.
Als der Fäulnisgeruch die umliegenden Anwohner erreicht wird ein erst kürzlich neu bezogenes Anwesen aufgebrochen, dabei findet man eine von Maden übersäte Leiche vor. In der durch die Autopsie festgestellten Gewissheit, dass der nunmehr verschwundene Herr des Hauses erst kurz zuvor mit der angeblich kranken Frau Geschlechtsverkehr vollzogen hat, macht sich Police Chief Zhang [ Wong Yung ] mitsamt Assistent Junde [ Tai Gwan-Tak ] zu seinem Kollegen Liu [ Walter Tso ] nach Foshan auf, wo nur wenige Zeit zuvor ein ähnlicher Fall stattgefunden hat. Liu erzählt ihm die Ereignisse um den mysteriösen Li Zhengyuan, der aus Liebe zu einer freigekauften Prostituierten diese bis in den Tod gepflegt und sie auch darüber hinaus umsorgt hat. Und mittlerweile Interesse an sämtlichen Angestellten der Bordellbesitzerin Madam Lan [ Tanny Tien ] zeigt, auch an ihrer Adoptivtochter Yan Er [ Yau Chui Ling ].

Die Beschäftigung mit dem Thema der Nekrophilie ist in seinen Bildern anders als bspw. die kunstvollen Umschreibungen geträumter Sünden Vertigo – Aus dem Reich der Toten oder Das grüne Zimmer aber zu demonstrativ, zu artikuliert, zu drastisch, um nicht den Preis der Zerstörung der ungeschriebenen Regeln zu zahlen. Dem Fetischismus und dem Voyeurismus wird die Imagination genommen. Auch wenn keine entsetzte Entmystifizierung wie bei dem obduzierenden Gegenstück The Act of Seeing With One’s Own Eyes stattfindet, nicht dokumentarisch in genauer Kälte oder klinischer Distanz hingesehen wird, werden in der Beziehung von Tod / Sexualität, Begehren / Vergängnis, Wonne / Leiden – "even dying is an act of eroticism..." – die Grenzen für Abwegigkeit und Verdrängten nicht bloss angetastet, sondern zu sehr aus dem Geheimnis des Kinos heraus und in die Hilflosigkeit des Lebens hinein gezerrt.

Die Sicherheit der Konvention und die versehrte Schönheit anderer Shawscher Horrorwerke nahe dem gothic cinema ist deswegen hierbei schon von Beginn weg; eine unverschämte Dreistigkeit narrativer Laterna magica, die in seiner späteren Banalität schon wieder äußerst kreativ und vor allem clever ist. Durch die schnelle Konfrontation mit dem Unaussprechlichen wird der Boden sicherer Tatsachen komplett entfernt und das Unvorstellbare zur Realität, auch wenn das Lug- und Trugmärchen rückwirkend recht offenkundig ist. Allein die Szenerie der beiden Städte ist derart übertrieben abgestorben, dass das einstig glanzvolle Studio der Spätromantik schon mehr einem Friedhof bar jedem Ästhetizismus ähnelt. Die Reise von Zhang und Junde nicht von Hell zu Dunkel, sondern von einem trist deformierten Ort zum Anderen, beide von einem wie durch Ansteckung übertragenem Fieber in die Auflösung verzerrt. Es ist niemals richtig Tag, nie hell, nie scheint die Sonne oder wirkt es warm. Ein Reich der Schatten, der finsteren Ecken, hohe Luftfeuchtigkeit drängt den Nebel durch die diesigen Nebengassen, eine klaustrophobische Waschküche aus aasigem Laub, Schmutz, Staub, Spinnenweben, ähnlich dem Elendsviertel Whitechapel. Nach der Erzählung von Liu, die auch gleich die Möglichkeit der Rückblenden pessimistischer Ansichten formuliert, wandelt sich das verwesende Schauerstück auch tatsächlich in eine morsch knarrende Jack the Ripper Inspiration mit makaber ausgeschmücktem Gimmick um.

Aus der desorientierenden, aber zwangsweise mitfühlenden Identifikation mit dem Täter, dem damit verbundenen Angriff auf die Augen und dem sinisteren, an Magen und Nieren gehenden Thema wird eine simple Profiler-Pathologie mit raffinierter Doppelbelichtung. Ein Spiegeltrick, der Linderung schafft. Aus der kurzen, aber heftigen Revolte zurück in den lieb gewonnenen und vor allem Sicherheit gebenden Stillstand. Alles halb so schlimm. Ein mechanischer Bodycountkrimi, zwischen Gruselkarneval und Geisterbahn-Kintopp, nun auch mit Dramaturgie, mit der Rückführung von der Abstraktion zur rechten Ordnung, mit der Eindeutigkeit von Gut und Böse – Li Zhengyuan wird zum aktiven Dirnenmörder, allerdings aus Gründen der Vergeltung – , Geheimgängen und einem Verschwörerplot um Geldgier. Immer noch das Spiel zwischen Dämonischem und Psychologischem, aber das Verschieben vom sexuellen Impuls auf die gewaltsamen Rituale incl. der üblichen Typologie und Symbole der stalk 'n' slash fright night sowie forschem Aktionismus. Mit der Korrektur der bisherigen Erfahrung, der aufatmenden Erleichterung von großen Gesten, sichtlich falschem, fast rosa gehaltenem Blut und ebenso unechtem Schauspiel. Statt wie bisher der Subtilität moralischer Ambivalenz zwischen den Widersprüchen der Wünsche, der Erziehung und der Entfremdung durch die Konsequenzen nicht tolerierter, nicht akzeptabler und somit strafbarer Sexualität.
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Review: Sex beyond the Grave [ 11/08/1984 ]

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Im Prolog ein Zugeständnis an die Ära der exzessiven Maßlosigkeit zuvor. Statt einer Einleitung zum Film vielmehr das ausklingende Nachspiel auf das Jahr 1983, dass bis zur Einführung des Category 3 Siegels Ende der Achtziger ein letztes Mal die Daumenschrauben zwischen Normalem und Pathologischem anzog. Eine kurze, aber umso lautere Schlussrede zu Mitternacht, um im Morgengrauen Abschied zu nehmen und sich mit wankenden Beinen ins unsichere Kommende der Zukunft zu begeben.

Die ersten Minuten von Sex beyond the Grave sind das Einzige, was dem reißerischen Titel und seinem ebenso Aufmerksamkeit hervorrufenden Originallayout entspricht – ein von Wahnsinn gepeinigtes, schreiendes Frauengesicht, im verblassten Schwarzweiß vor triefend tiefrotem Blut –. Und auch der einzige Akt, der in der drohenden digitalen Spaltung zwischen Horror und FantasyKomödie überhaupt funktioniert. Mit einfachsten Mitteln sogar, einer schlichtweg Aneinanderreihung von Brutalität und Sex im sadistischen Genuss, viel Boshaftigkeit, Infamie, einer ruchlosen Niedrigkeit und Verrohung der Triebe. Eine derbe Tonsetzung mit ebenso eindringlicher Interpretation, die die Grenzen der Abgründe der Psyche ohne weitere Vorwarnung, in einer schiefen Balance zwischen wenig Diskretion und viel Deutlichkeit anschneidet.
Doch dann wird es hell, viele Jahre sind vergangen, die Zeit hat sich geändert und macht einer flexiblen, indeterminierten Unbestimmtheitsstelle Platz. Vom Schrecken ohne Ende zum Ende ohne Schrecken, bei dem die immer freundlicher werdenden Publikumserfolge nicht umsonst Happy Ghost heißen:

Am Ende des Zweiten Weltkrieges erbittet die flüchtende Sängerin Ah Hua [ Kwong Mei Bo ] zusammen mit ihrer Kleinfamilie Unterschlupf auf dem Anwesen von Old Tao [ Gam Biu ]. Doch dieser liefert sie nicht nur dem Japaner Kimura [ Philip Ko ] aus, der Ah Huas Mann und Sohn tötet und sie vergewaltigt, sondern beteiligt sich sogar an der Misshandlung und tötet die Frau anschließend wegen einer Juwelenbox selber. Ab dem Moment ist das Haus samt Grundstück verwunschen; da der Nachkomme Tao Ming [ Goo Goon-Chung ] und seine Frau Ida [ Lai Yin Saan ] wegen Spielschulden das bisher verschlossen gehaltene Gebäude verkaufen müssen, ziehen ihre ahnungslosen Freunde Professor David Yang [ Anthony Lau ] nebst Frau May [ Chin Wai Yee ] und dem vierjährigen Sohn Nicky in die unheilvollen Gemächer.

Die Einleitung nur als rechtfertigende Ausrede für den aktuellen Feldversuch im zeitgenössischen Milieu. Als alibihaft reduzierter Vorwand, um den Schwung des ersten Entsetzens und die Spannung von Anteilnahme und Überschau für den eigentlichen Aufbau auszunutzen. Einführung und Vorstellung der Figurenkonstellation, deren Subjekte als blanke Funktionenträger formuliert werden sowie die endgültige Szenenlokalisierung in das frühere Landbesitztum der Taos nehmen ein ganzes Drittel der eh schon knapp bemessenen, zusätzlich mit strammen jump cuts und ungrammatischem Montageaufbau ernährten Handlung ein. Ein Nebeneinander von ernsten, bemüht komischen, versucht erotischen, mit full frontal nudity aufgeheizten, meist jedoch zutiefst belanglosen Episoden um die Spielsucht des Tao Ming. Stetige Metamorphosen, in denen die Bildelemente fortwährend Gestaltwandeln, merklich an Intensität nachlassen und zuletzt etwas völlig Gegensätzliches als das schockierende Ausgangsbild darstellen.

Ein irritierendes Überall und Nirgendwo, bevor man sich endlich auf bekanntem Terrain befindet: haunted house also. Die Renovierung und Nutzbarmachung von überwuchertem Wildwachstum, dass sich im Kampf Natur gegen Mensch die Grundmauern seiner Existenz zurückerobert und als Sieger über Tod und Sühne postuliert. Die Selbstherrlichkeit des Architekturalen, das als Tatort eines schrecklichen Verbrechens das moralische Gewissen vertritt. Und die Metapher der abgesperrten Tür, deren unbefugtes Öffnen zur Wiederkehr der verdrängten historischen Gewalt, dem Ausdruck der Schuld und Symbol der Bestrafung wird.

Die jeweilige Quelle der Inspiration kann man sich nach eigenen Gutdünken aussuchen; nicht nur von dem Zeitraum der Entstehung her waren es in präziser Weise wohl eher Das Landhaus der toten Seelen, Amityville Horror, Das Grauen statt einem Das Haus auf dem Geisterhügel oder Bis das Blut gefriert. Auch Poltergeist dürfte bei manchen Szenen Pate gestanden haben. Wenn Kühlschrank, Fernseher, Küchengerätschaften, Licht verrückt spielen, Flaschen, Fensterscheiben und Wasserleitungen bersten, Automatisierung, Technizismus, spiritistische Systeme und buddhistischer Glaube aufeinander treffen und Aberglauben, Mystizismus und Okkultismus in einem typisch modernen Haushalt eindringen, sind die Querverweise deutlich.
Exorzistische Aktivitäten, religiös motivierte Rituale und kirchlich-heilsgewisse Paraphernalien im Kampf gegen die nur in der Wirkung sichtbaren Kräfte der Schreckgespenster sind ja allerdings nur ein Aspekt der erstaunlich antichristlichen Geschichte. Leider. Und leider selbst dann noch nicht einmal der überzeugendste.

Zwar arbeiten die Effektspezialisten mit durchaus gekonnten Attributen, wenn es denn mal daran geht, dem Haus ein störrisches Eigenleben zu verleihen und den destruktiven Hammer gegen die renovierte Einrichtung und ungebetenen Besucher zu schwingen, tun dies aber in rein oberflächlicher Spektakel-Referenzialität, die nur auf die psychische Stimulation beruht. Eine bloß instrumentelle Sichtweise, die sich auf die textexterne Kategorie der schieren Taschenspielerei und anderem Gauklerdasein ausruht und dabei bereits die noch kommenden Trickschlachten in expressiv akustischer und visueller Lautstärke vorweg nimmt. Geschieht dies mit dem simplen Verrücken von Gegenständen, wie es bereits in der wüsten Zimmerzerstörung bei Devil Fetus mit beeindruckenden Ergebnissen praktiziert wurde, so darf man auch hier Erfolg bescheinigen; sobald man sich aber komplett in die Zaubermanege der Destabilisierung stürzt, folgt auch schon der tiefe Fall ins Lächerliche.

Aktionen direkt aus der Augsburger Puppenkiste, die anwesende Figuren als Helden aus Holz wie im Lummerland herum segeln lassen, bewahren durch ihren naiven Charme ja immerhin noch die joviale Sympathie des schon ein wenig konsternierten Zuschauers. Nur, besonders der im damaligen HK Kino beliebte Einsatz der bunten Malstifte, indem einfach Blitze und andere Objekte in die Leinwand gezeichnet werden, wirft das ganze Projekt schon auf eine derart kindische Stufe zurück, dass neben "Hauptsache billig" und "Qualität ist Nebensache" auch noch das plötzliche Infantile rückwirkend jeglichen positiven Eindruck empfindlich schmälert.
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Review: Hell has No Boundary [ 04/06/1982 ]

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Kleine, nicht gleich knifflige, aber gut besetzte Fingerübung von Richard Yeung Kuen, der ein Jahr darauf seinen Paukenschlag Seeding of a Ghost abliefern sollte und hierbei schon vorbereitend alle Zutaten kredenzt. Ein Köcheln noch weitgehend für den privaten Testbereich, das Pochieren mit Maden, Schleim, Spülwasser und Erbrochenem im urangrün getöntem Licht, dass mal nicht die Farbe des Lebens, sondern der Gefahr bis hin zum Tode symbolisiert. Ein halluzinatorisches Traumwandern in die Zwischenwelt der Geister und Dämonen, die ihre unglückselige Existenz bedrohlich in die nur scheinbar harmlose Realität überlagern oder gleich die Opfer in ihren Machtbereich saugen. Ein negativ besetztes Wachsen und Gedeihen, ein wenig beruhigendes und schon gar nicht harmonisierendes Sinnbild für die Verschiebung der heilen Welt in das folgenschwer ausschwingende Schattenreich des Karma, in dessen Kreislauf der Wiedergeburten Gleiches erneut Gleiches erzeugen muss.

Hell has No Boundary ist ein mehrfach geschnürtes Paket, dass seine Konzentration auf das Wesentliche durch eine weitreichend facettierte Erzählführung und täuschende Ornamente an der oberflächlichen Wandung lange Zeit verbergen möchte und dies auch kann. Ein kombinatorisches EC Comic mit Mehrdimensionalität und Tiefenstruktur. Die Handlung entwickelt sich schnell, aber eben nicht eindeutig und schon gar nicht mit Erklärung und Motivation, sondern vielmehr allseitig befähigtem Erfahrungs-, Deutungs- und Verständnismuster, in dem Erinnerungsspuren in neue Sinnzusammenhänge gebracht werden. Ein alogisch polymorphes Stochern im Genre des Okkulten, zwischen Der Exorzist und Das Omen schwankend und gleichzeitig die aktuelle soziale Komponente, die sexual subversion und ein seelisches Niemandsland ansprechend. Aber eigentlich geht es um das Wissen von Reinkarnation und Karma. Darum, dass man sich immer zweimal im Leben sieht. Eine Redensart, die viel drohendes Versprechen und Andeutung für eine späte Revanche und so das Kosmische Prinzip von Ursache und Wirkung bereithält. Aktion gleich Reaktion. Ein Energiefluss, der mit selber Intensität zum Ausgangspunkt zurückkehrt, auch wenn dazwischen mehrere Jahre auseinander liegen können:

Wenn Cheung [ Derek Yee ] vorher geahnt hätte, was sein Geburtstagsgeschenk für Freundin May Wong [ Lau Suet Wah ] alles auslösen wird, hätte er sie sicher nicht auf eine schroffe Felseninsel zum Camping eingeladen. Schon bei der Ankunft hat sie seltsame Erlebnisse, am Ende des Tagesausfluges jagt, quält und ertränkt sie beinahe ein Kind. Dafür läuft es im Büro besser; Polizistin May kann ihre beiden Konkurrentinnen für die Beförderung ausbooten und steigt trotz des Einspruchs ihres direkten Vorgesetzten Inspector Wang [ Yueh Hua ] die Karriereleiter hinauf. Dass sich die Unglücksfälle in ihrer Umgebung schlagartig häufen, fällt dabei nicht nur dem Reporter Koo [ Ken Tong ] auf. May scheint besessen und mit übernatürlichen Kräften ausgestattet zu sein.

Dem wenigen Vorlauf sei Dank wird auch die etwaige Idylle im Leben des Paares derartig kurz gehalten, dass man sich abseits einer gemeinsamer Bootstour samt anschließendem Grillabend gleich auf die weitreichend verzwickte Geschichte zwischen suggestiver und autoritärer Welt verlagern kann. Statt der Abbildung des Glücks wird ein rascher Blick auf die urban modern-day Wirklichkeit geworfen, dort aber dem Grauen ein Gesicht mit anmutiger Maske und dem baldigen Chaos des Schaudern eine feste Form verliehen.
May und Cheung arbeiten zwar unter einem Dach, scheinen dort aber nicht in der selben Einheit integriert zu sein und wohnen auch nicht zusammen; eine Tatsache, die sich beizeiten noch als einschneidender als angenommen erweisen soll. Sowieso wird die gesamte Personenkonstellation auch einschließlich des Inspectors, seiner Schwester – einer Art Hohepriesterin mit Hokuspokusfaible – und auch der beiden zwei weiteren Kandidaten für den ausgeschriebenen Sergeantposten noch einmal unter veränderten Prämissen in Augenschein genommen:

Eine wirkungsstarke Episode aus der dunklen Krise des Zweiten Weltkrieg wird als Rückblende aufgerufen. Ein groteskes, kalkuliert verfremdetes Historienpanorama angefüllt mit Niedertracht, Unmenschlichkeit, Abartigkeit bis zum Exzess, mit japanischen Hitlerbärtchen, sexuellen Belästigungen, Kindstötungen, Kannibalismus, Ausweidungen und Drogenschmuggel per leerem Menschenkörper.
Eine eigentlich universale Transkription des unvorstellbaren Grauens, dem, wenn dies denn in provozierender Allegorie mit destruktivem Impuls gehalten wäre, der heutige Nachklang des Schreckens wenig entgegensetzen vermag. Regisseur Yeung greift zwar bewusst auf die traditionelle Traumsymbolik ebenso zurück wie er an die Urängste des Menschen appelliert – Stürze und Fallen aus großer Höhe, Ertrinken, Feuer, Ersticken etc. –, allerdings ist die hiesige Produktion der Horrorbilder nur eine spekulative, nicht automatisch spektakuläre Simulation der Grausamkeit im trivialem Stil. Statt subversiver Kritik am Bestehenden oder der radikalen Auflösung im Schock mit viel abergläubischen Spiralnebel, ebenso emsig unfreiwilligem Humor und zäsuierenden Kleinszenen umwabert. Ein soweit schon sicheres Auftreten, aber ohne Nachdrücklichkeit in der Rede, offenkundig theatralisch und stark in Richtung exploitivem Trashkino mit überkünstlich knallrotem Gelatineblut. Wie laminiertes Hardcover, dass für die Pulp-Käuferschar eine erneute farbrestaurierte Machkolorierung verpasst bekommt.

Zumindest die materielle Tatsache, dass sich Jeder von Ihnen schon früher über den Weg gelaufen ist und man dort auch in unterschiedlicher Bindung mit speziellem Einfluss zueinander stand, setzt das bisher recht vordergründig gehaltene Geschehen prompt in das Postulat der moralischen Weltordnung und damit in ein neues Licht. In das besagte Grün nämlich.
Grün steht in China auch für das Yin, dem passiven, empfangenden Prinzip. Dem weiblichen Gegenstück des Yang, dass als aktiv und schöpferisch beschrieben wird. Analog zur Frequenz des alles bestimmenden Kismet braucht auch die taoistische Zirkulation das Gleichgewicht in der Natur und damit die richtige Balance. Zwei sich ergänzende, nicht voneinander trennbare Elemente. Cheung und May gehen allerdings verschiedene und auch noch umgekehrte Wege. Während er in seiner Aufgabe versagt, einen extra Rundkurs auf dem Behördenweg einlegt und mit seiner Stelle hell auf zufrieden ist, ergreift sie notgedrungen die freigewordene Initiative der gesellschaftsstabilisierenden Waage; dabei weist sie ein sehr irdisches Begehren für eine eigentlich transzendentale Macht auf: Die berufliche Laufbahn. In der Männerdomäne.

So setzt sie ihre neu erworbenen, des Nachts auf der Insel aufgezwungenen Kräfte und den Vergeltungswillen bevorzugt dafür ein, zielstrebig mißliebige Zeitgenossen aus der Gefahrenlinie zu schaffen. Wobei sie als kühles, zänkisches Karrierebiest nicht nur mit den Waffen der Frauen arbeitet, sondern die Feinde desöfters einem manipulierten Wachbewusstseinserlebnis aussetzt und so geradezu über Leichen geht. Eine sinntäuschende Trugwahrnehmung mit hypnotischer Regression, die die Opfer einer für sie realen Bedrohung freigibt, die von Außenstehenden aber nicht gesehen, auch nicht innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft liegen und so als Todesursache ausgeschlossen wird.
Das eiskalte Matriarchat der Gegenwart arbeitet im emanzipatorischem Dreifrontenkrieg auch mit illusorischen Attacken von Kampfhund, Schlange, Krabbe, Würmern usw., die die Durchschlagskraft des cinéma fantastique in der alltäglichen Praxis vorführen. Eine Ausgeburt der Hölle, ein buchstäbliches "Es müsste schon mit dem Teufel sein", wenn die Frau ganz nach oben gelingt.
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Samstag, 22. Dezember 2007

Review: Blue Jean Monster [ 23/05/1991 ]

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"Ungefähr alle dreiunddreißig Jahre wiederholt sich ein Ereignis in unsern Gassen, das gar nichts besonders Aufregendes an sich trägt und dennoch ein Entsetzen verbreitet für das weder eine Erklärung noch eine Rechtfertigung ausreicht."

Was auch immer für eine Giftgaswolke über dem Duftenden Hafen an der Südküste der Volksrepublik China im Jahre 1991 gelegen haben mag, sie hat zumindest die Kreativität und das Talent gleich mit der Autoren und Regisseure der nahe liegenden Umgebung positiv beeinflusst und sie zu einem höheren Bewusstseinsstatus verholfen. Anders lässt sich nicht erklären, wieso ausgerechnet dort und dann mit der synkretistischen Action / Horror / Slapstickkomödie Blue Jean Monster eine Golem-Sage zeitgemäßen Ursprungs entstand, die die vorhandene Materialkombination des Jüdische Märchens kontinuierlich neu assoziiert. Sicherlich eine Variation mit semantischem Unverständnis nur, eine Verlegung in die moderne Zeit, die genauso viel der amerikanischen 80er Jahre Science Fiction um Dead Heat, RoboCop und Terminator zu verdanken hat und sowieso in Berauschung und Inspiration aus den verschiedensten Stilelementen und Denkschulen gespeist ist. Aber ebenso den Wunsch der Geschichte entspricht, dass eine künstliche, starke und schützende Figur mit menschlichem Ebenbild geschaffen wird, die den Schwachen und Unterdrückten beisteht und sie vor Verfolgung und Bedrängnis bewahrt. Auch hierbei die Erweckung toter Masse zu lebendiger Existenz, die als Art patrolman mit wachsenden eigensinnigen Charakterzügen die Straßen säubert und ansonsten zurückgezogen in seiner eigenen Stube verkehrt.

"Mache ein Menschenbild aus Ton, und Du wirst der Böswilligen Absicht zerstören."
Polizist Hsiang Tsu [ Shing Fui On ] wird bei der Vereitlung eines brutalen Banküberfalls durch herabfallende Eisenstreben getötet. Als er wenige Stunden später nach einem deftigen Stromschlag trotzdem wieder im heimischen Bad steht bemerkt er erste Auflösungserscheinungen seines Körpers; nicht nur, dass sich seine Augen nicht an grelles Licht gewöhnen können und er oft Schwächeanfälle hat, auch fühlt er keinen Schmerz und kann auch keine Nahrung mehr zu sich nehmen: Ein großes Loch im Bauch stößt jede aufgenommene Mahlzeit sofort wieder ab. Da seine Frau Chu [ Pauline Wong ] hochschwanger ist verschweigt er ihr seine Veränderung und macht sich stattdessen auf ruheloser Wanderschaft an die Verfolgung der Kriminellen. Vor seinem Informanten Mr. Big [ Tse Wai-Kit ] und dessen forscher Freundin Gucci [ Gloria Yip ], mit denen er ebenfalls zusammen wohnt kann er sein abnormes Verhalten allerdings nicht lange verbergen.

Während Paul Wegeners Film Der Golem, wie er in die Welt kam den jüdischen Volksglauben im kollektivem Wunsch nach Sicherheit mit dem christlichen Faust-Mythos verband, orientiert man sich hier eher an Gustav Meyrinks Roman "Der Golem", in dem die fantastischen Elemente der polnischen Kunde mitsamt alten mystischen Spekulationen gekoppelt und zu den naturalistischen Schilderungen kontrastiert werden.
Im hiesigen helter-skelter Skript eine Rückführung auf die talmudische Aggadah, die in der Jetztzeit zusammen mit dem buddhistischen Glauben an die Reinkarnation aus dem Karma des Gestorbenen eine modernisierte Populärfabel formulieren. Den Einbruch des Übernatürlichen in eine real erfahrene, hier noch in typischer Hong Kong Manier äußerst bunt und gleichzeitig einfältig gehaltene Welt, deren Mitwirkende in aktueller Hochhausarchitektur auf klaustrophobisch klein gebauten Raum leben und agieren. Gemeinsamkeiten der Handlung, die im wesentlichen Bestandteil durch diesen privaten patchwork-Familienteil statt dem öffentlichen Auftreten gekennzeichnet ist, sind die komplette Übernahme der biblischen Schöpfungsgeschichte, des Frankenstein-Aberglauben und der Anmaßung der artifiziellen Person, selbst wie Gott sein zu wollen und sich gegen seine Schöpfer aufzulehnen; allerdings fern jeder politischen Allegorie oder auch eines wahrhaft fatalistischen Tones.

Tsu stellt zwar eher Doppelgänger des Menschen mit neuen Stärken und neuen Schwächen dar, dessen Beseelung auch durch Strom und weder durch Gebete noch magische Formeln erreicht wird, aber der auch den Ehrgeiz hat, selbst zum gottgleichen Erzeuger neuen Lebens zu werden und unbedingt sein Kind zu sehen. Seine "Geburt" ebenfalls in einer Gewitternacht, statt in einem Turm auf einer skelettartigen Baustelle, ein genauso "gottverlassenes Krähennest". Die Problematik, danach ohne Zeugungskraft und Trieb zum Weibe zu sein. Der Triumph seiner sonstigen neuen Fähigkeiten und der blockierte Drang zu sinnlicher Erfüllung wandeln sich zuweilen in unbeherrschte Zerstörung aus der Chelmer Traditionslinie um, in dessen Scheitern er zunehmend die Kontrolle über seinen Körper verliert und zur Gefahr für sich und andere wird. Und er benötigt permanent Anabiose, um die Schwelle zwischen Leben und Tod zugunsten des Ersteren zu halten; ständig neue Elektroschocks, die er sich erst im Krankenhaus auf der Intensivstation und bald daheim mit einem umgebauten Bügeleisen abholt. Sein zunehmend bleicher mongolischer Körper als wiederaufladbare Batterie, dessen Energieversorgungs-Kit bei zu viel Leistung auch schon mal in Zeitraffer und Mickey Mouse Stimme verfällt.

Also erst Räuberpistole, dann Jägerlatein, dann Scharlatanerie mit dem Motiv des magischen Knechtes. Eine okkulte Wunderlegende im analogen Stil des Formlosen, Ungestalteten, mit wenigen, aber dank urwüchsig kernigem Vorgehen dafür umso fulminanten Actionszenen in drastischer Frohnatur.
Dafür, dass man trotz dem Plündern des Zitatenschatzes kein später Abklatsch weit verbreiteter Vorstellungen und vielmehr ein Vorschlag zur Neudefinition und Ergänzung wird, sorgt dann schlussendlich der disgusting gross out Humor der oft allerderbsten, zuweilen auch grauenerregend geschmacklosen, aber nichtsdestotrotz schwarz-obskuren Sorte. Bevorzugt weit unter die Gürtellinie zielend werden Schusswunden mit der Monatsbinde der Frau versorgt, die bereits verdauten und durch den offenen Magen wieder ausgeschiedenen Nudeln zufälligerweise dem Mitbewohner zur Verköstigung angeboten, in offensiv naiver Weise über Sex in der Schwangerschaft, außerehelichem Verkehr, die Vorteile der Prostitution, die Nachteile der Homosexualität, AIDS, Behinderte und Silikonbrüsten debattiert.

Adäquat zu den bad taste jokes die Wahl des Hauptdarstellers, das Gegenteil eines ewigen Sympathieträgers und wohl kaum salonfähig: Shing Fui On, der sich vorher und danach als nebenberuflicher Triadenscherge mit grimmiger Miene durch das Leben schlägt, ähnlich gross, klobrig, grobmotorisch unbewegt wie die Prager Lehmgestalt gebaut ist und seinen einmaligen Fokus mit sichtlichem Spielwillen revanchiert.
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Mittwoch, 19. Dezember 2007

Review: Gangland Odyssee [ 13/09/1990 ]

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Dass das Regiedebüt von Michael Chan Wai-man ausgerechnet in Triadenkreisen spielt, verwundert nun überhaupt nicht; hat er in dem Genre doch von den The Club [ 1981 ] Anfängen bis zu den Auflösungen bzw. Rekonstruktionen A True Mob Story / Young And Dangerous : The Prequel [ 1998 ] in nahezu allen Vertretern dieser Gattung als Systembetreuung mitgespielt. Chan ist mit zunehmenden Alter zwar häufiger nur einer der prominenten Nebendarsteller gewesen, teilt sich die Allgegenwartsrolle aber mit dem weiteren Aushängeschild Shing Fui On und gehört quasi zum Inventar im Führungsgremium. Eine Art Ein-Mann-Bereitschaftspolizei. Dass er sich lange genug mit der standardisierten Problematik befasst hat, besser als Jeder Andere in das Normmaß-Geschehen eintauchen kann und über die richtigen Beziehungen im Geschäft verfügt, verhilft Gangland Odyssey von vorneweg immerhin zu einer überaus soliden Grundlage mit instrumentalem Charakter, weitgehend vorgegebener Aufgabenstellung, der Rechtmäßigkeit von Stereotypen und solcherart einem hohen Gesamtanteil nicht beeinflussbarer Konstanten.

Chan hat bei aller Kenntnis der schon erkennungsdienstlich behandelten Materie dann auch weniger das Problem, sich von den traditionellen Reizen wieder zu lösen, sondern mit seiner Vorgehensweise zusätzlich den Kitzel unverbrauchten Appeals zu schaffen. Und wie viele Neulinge mit einer einmaligen Chance auch die Schwierigkeit, Informationen zu ignorieren, die für das Verständnis nicht weiter relevant sind und stattdessen nur abträglich Antrieb und Expression eindämmen.
Sein Film zerfällt sehr schnell in mehrere Stränge von Zusatzeigenschaft, Sonderfall und Ausnahme, die jeder einzeln schon keinen wirklichen Halt in der Gesamthandlung finden, auch addiert nunmehr ein Konglomerat ungenügend anskizzierter Faktoren und ein durch fehlgeleitete Bemühungen ausgebremstes Sammelsurium ergeben. Einzelne Verschleißfelder interpersonaler, miteinander verflochtener Gewalt, deren narrative Synopsis und damit auch die Hauptlinie vom üblichen Postulat der Gerechtigkeit so übel nicht sind. Aber mit einer asymmetrischen Dreiteilung im Fokus, viel unvorteilhaftem Gerede und leider auch übermächtigem Melodrama in liebloser Mechanik belastet werden, um den ganzen Plotstaub erst im letzten Drittel durch nachhaltige Stöße mit der Druckluft zu vertreiben:

Ex Cop Fan Chi Hung [ Alex Man ] reist aus San Francisco nach HK, um dem englischen Geschäftsmann Brown [ Ken Boyle ] bei der Entführung seines Sohnes beizustehen. Zusammen mit dessen Patenkind Che [ Andy Lau ] kann er den Gekidnappten befreien, muss dabei aber zwei der japanischen Geiselnehmer erschießen. Nakacho Nakamura [ Shikamura Yasuyoshi ] sinnt auf Rache und schickt seinen besten Mann Yoshida [ Michael Chan ] in die Metropole, der allerdings nicht nur Fan persönlich kennt, sondern auch der Bruder seiner großen Liebe Shirley [ Kelly Yiu Wai ] und der Onkel ihres Ziehkindes Cindy [ Regina Kent ] ist.

Da alle miteinander verwandt und verschwägert sind, sei es auch nur auf dem Papier, bleibt der liederliche Klüngel wenigstens immer in der Familie; die einzige Synthese im ansonsten eher antithetischen Allerlei. Der Prolog des Prozesses von Rückkehr unter veränderten Umständen und Anpassung an die oder Verneinung der frisierten Situation steigt bereits 1974 ein und macht dann einen back and forth Bogen in die Gegenwart; gar mit verengender politischer Metaphorik, wenn man den schädlichen Einfall von sowohl Engländern als auch erneut den Japanern in die einstige Heimat betrachtet.
Um sich dann auf drei Männer nicht nur unterschiedlicher Herkunft, Charakter und Ziel, sondern auch emotionaler Unvereinbarkeit zu konzentrieren und so eventuell erhellende Personenkontraste abzutasten. Eine breite Palette substantieller Qualifizierungen mit allzeit verfügbaren Handlungsfedern von wüster Revenge und größtmöglicher Vergeltung, bei dem die genaue Beobachtung kausaler Zusammenhänge und innerer Konsequenzen zwar nicht gänzlich auf der Strecke bleiben. Statt der eindeutigen Erklärung unterschiedlicher Positionen verschieden starker Gruppierungen aber die noch vorhandenen Spielräume abseits des meditationsartigen Rezitierens nach strikten Regeln weitergehend nur dafür genutzt werden, ein reihrum Ehemaligentreffen mit kollektivem Gedächtnis abzufeiern: Sowohl Fan als auch Yoshida klappern ihre alten Seilschaften Eleven [ Ng Man Tat ], Yun [ Alan Tang ], Maddie [ Shing Fui On ] und Pin [ Fong Yau ] ab, die mal wohlgesonnen, mal hinterrücks feindsam und mal auch gänzlich unbeteiligt sind. Eine verzögernde, leider nachteilig belanglose class reunion mit offiziellem Willkommensgruß, die das Durchbrechen der Gewaltdynamik in das weit ausholende Finale verschiebt und bis dahin die Auseinandersetzung zwangsläufig auf der sprachlichen Ebene ablaufen lässt. Improvisierte Selbstbehauptung mit dem latenten Hang zur Selbstzerstörung statt Selbstverteidigung.

Fan und Che und Yoshida arbeiten ab und an zwar zusammen und kommunizieren entsprechend dessen auch über den losen Augenkontakt hinaus, sind allerdings sonst Einzelgänger wie es im Buche steht und meistern ihr Leben folglich auch für sich allein; was erneuerte Fugen im eh schon bruchstückenhaft gehaltenen Gesamtbild nach sich zieht. Als Ausweichquartier für die so niemals entstehende Bindung und das Verweigern eines jeden male bondings hat man deswegen die Beziehung zwischen Mann und Frau gewählt; ein höchst spezieller Sachverhalt erzählerischer Offenheit, der einen kompletten Gegensatz zum vorherrschenden, schon fast gesetzmäßig bedingten Androzentrismus des Heroic Bloodshed darstellt. Die Wahrnehmung allen Lebens von einem männlichen Standpunkt aus und somit auch das Versagen, das Leben von Frauen richtig beschreiben oder auch überhaupt würdigend registrieren zu können, durchzieht sich bei allen maßgeblichen Regisseuren der Ära und wird hier trotz mehrfacher Versuche weiterhin in inkompetenter Phantasielosigkeit fortgesetzt.

Ein simples Einbringen von Liebesschwüren, Trauertränen, Schmollmündern, was im ehrwürdigen Männerkino und dazu noch unter einem Haufen lautmalerischer Chauvinismen nur misslingen kann. Den prahlerischen Big Brother kauft man den anwesenden Herren ja blindlings ab, aber doch niemals den Charmeur, den Kavalier, den Herzschmerzleidenden. Wenn der sonstig als schmieriger Paradebösewicht bekannte Alex Man seiner Holden beim ersten Wiedersehen erstmal eifrig unter den Rock geht, drückt das wohl wenig die romantische Ader aus, die seine tragische, ewig auf die Richtige Frau wartende Rolle laut Drehbuch und Szenensetzung doch versprühen soll. Auch der junge Andy Lau, der hier so etwas wie die "Der Verlorene Sohn, den man niemals hatte" Nummer geben soll, dies aber mit einem strapaziösen Pfau verwechselt und anscheinend eh nur für das weibliche Publikum besetzt wurde, verreißt sein Spiel in Richtung Chargentum.
Erst im Notfall wird auf dem viel beschworenen "Auge um Auge, Zahn um Zahn" aus der hebräischen Bibel zurückgegriffen.

Und in dieser Phase der über die Stränge schlagenden Regression hat Regisseur Chan sowie sein Choreograph für das Grobe dann doch manche Trümpfe in der Hand. Nicht nur, dass man sich mit einer verheerend zerstörten Wohnsiedlung, diesigen Bars, 5m² Zimmern und leer gefegten Straßen an der geographischen Verwüstung der B-Actioner orientiert und dessen auf repeat eingestellten Minimalistikscore übernimmt, auch die schlecht aufgelöst anmutende Optik in aschfahler Bleiche wurde adaptiert. Und die redescheue Dimension der Gewalt ist Gegenstand ähnlich spekulativer Darstellung. Ewig lange, bis hin zum freeze frame erstarrte Zeitlupen, um ja keine Sekunde der ungehobelt abgewetzten Aktion zu verpassen. Das Aufgeben der neutralen Erzählerinstanz hin zu beschleunigtem Rhythmus wechselnder Einstellungen. Der hochtourige Motor der Bewegungen der Beschränkung des Spielraums entgegengesetzt, in dessem passend geringwertig ärmlichen Ambiente mit kargem Interieur ein grosskalibriges, grimmig enthemmtes Zerfleischen stattfindet.
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Review: Exodus [ 13/09/2007 ]

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Dass Männer und Frauen soviel gemeinsam haben und sich vor allem auch gegenseitig so gut verstehen wie Katz und Hund ist keine bahnbrechende Erkenntnis.
Männlich und Weiblich als Gegensatz, als Geschlechterdualismus in sozialer Konstruktion, als das Spalten in zwei Geschlechter, zwei Wesensmenschen, zwei Parteien. Man braucht einander, könnte aber gut und gerne auch mal auf den Anderen verzichten, besonders dann, wenn man Denjenigen nicht versteht und sich sowieso über jede Kleinigkeit mit ihm reibt und zerstreitet. In Exodus tötet man die andere Spezies sogar, im ganz großen Maßstab. Weil sie das Übel der Welt sind.

Der Aufhänger ist es, der Edmond Pangs vorletztes Werk - die Anekdotensammlung Trivial Matters ist bereits abgedreht und startet Weihnachten 2007 - auch neugierig für die Klientel macht, die seiner sacht fragilen Arbeit bisher eher aus dem Wege gegangen sind. Pang macht auch Genre, aber mit eigener Handschrift, eine Art Auteur, der erstmalig wohl mit der Originalidee zu Fulltime Killer aufgefallen ist, in seinen fünf darauf folgenden eigenständigen Regietätigkeiten grundsätzlich mehr Anerkennung auch seitens der Kritiker und des eventuell aufgeschlossenen Publikums erlangt hat. Leicht Schwarze Komödien mit dem zunehmenden Drang zum Drama, tiefgründig, auf ihre Art wahrhaft bis hin zum blanken Zynismus, ruhig gedreht, aber nie gänzlich ohne Dynamik. Wenn man sich auf die Bilder, die Geschichten und vor allem die Figuren einlassen kann, was durch über-behutsames Zeichnen der Situation Manchen durchaus schwer fällt, so werden tatsächlich Sichtweisen erweckt, die zwar nicht neu oder gar wegweisend sind, aber verborgen in Einem schlummerten und nur auf die passende Assoziation zum Miterleben warteten. Auch wenn die harte Konfrontation mit sich selbst hier aufgrund ironischer Theatralität und karitativen Phlegma nicht erreicht wird.

Exodus formuliert zumindest die Ausgangsidee gallig präzise, mit einem diskret schwebenden Oberton aus Gewalt und Furcht, entwickelt sich trotz mehrerer Andeutungen aber weder in einen bipolaren Ausnahmezustand noch dem populären Diskurs über gesellschaftlich differenzierende Strukturen oder soziale Praktiken. Und auch nicht in die noch am deutlichsten als Vorlage benutzte chase novel, deren Spielarten des Kesseltreibens sehnlichst verwendet werden. Sondern wirft ein schon nachdrücklich prononciertes, dennoch dezent apartes Licht auf das Zusammenleben grundsätzlich verschiedener Menschen, auf die Intimität, die Emotionalität, das Vertrauen, besonders aber deren Verlust und auch dem Abschwächen der Liebe und dem Einzug der Alltäglichkeit.
Dass dabei anfangs viel prägnante Mysteryspannung entwickelt, in der die Zwischen- und die Zufälle die Geschichte ausmachen und die Ebenmaß-Methodik der tale of detection angewandt wird, ist der formale Trumpf:

Polizist Tsim Kin-yip [ Simon Yam ], Sergeant, Dienstnummer 4332, Taipo Division, Squad A, übernimmt eines Abends die Schicht für einen Kollegen, wobei er auch die Befragung eines eben gefassten Spanners übernehmen soll. Kwan Pin-man [ Nick Cheung ] gibt auch bereitwillig zu, dass er mit einer DV Kamera die Damentoilette belauert hat, aber nicht, weil er explizite Aufnahmen machen, sondern die Frauen über ihren geheimen Plan aushorchen wollte. Kwan ist der festen Überzeugung, dass die Männer getötet werden sollen und die heimliche Umsetzung bereits im Gange ist. Durch Gift z.b., geruchlos, geschmacklos, unsichtbar. Tsim nimmt die Aussage auf, kümmert sich aber nicht weiter darum, betrachtet seine Ehefrau Ann [ Annie Liu ] prompt trotzdem mit anderen Augen. Richtig stutzig wird er erst, als nicht nur Kwans Statement am nächsten Tag urplötzlich verschwunden ist, sondern dieser auch leugnet, etwas Dergleichen behauptet zu haben. Tsim fragt nach, wer ihn als Letztes besucht hat: Madam Fong Chi-tsing [ Maggie Siu ], die zufällig auch die Asservatenkammer mit Beweisführung leitet.

Die Regieführung verzichtet dabei auf jeglichen Knalleffekt, auch wenn man sich sonst als Spezialist für Konfliktmanagement erweist. Abgesehen von einem albtraumhaften Prolog, der in sehr bizarr perversen Ästhetik auch gut und gerne aus Uhrwerk Orange stammen könnte, wird sowohl von der akzentuierten Bestimmung als auch von anderem offensiven Gebaren abgesehen. Vielmehr macht man sich Kwans hysterische These zunutze und damit auch das Paradoxon, dass eine derart eigenwillig ausgefallene Ansicht überall auf Unglauben prallt. Selbst wenn sie denn wahr sein sollte. Tsim stößt bei seiner Nachforschung nicht nur auf die Barrieren des Zweifels bzw. Skeptizismus, sondern auf das Absprechen jeglicher Gültigkeit. Dass derartige Worte eines Einzelnen wider der Vernunft sind und auch in der Ausführung schon eine logische Absperrvorrichtung erfahren, irritiert ihn nicht weiter und tatsächlich findet er mehrere Ungereimtheiten, auch im Privatleben.

Warum Frauen denn nun zu Zweit ins Bad gehen und was sie dort machen, wird hierbei also auch geklärt. Ebenso, warum sie trotz des Tragens von Röcken eben doch die sprichwörtlichen Hosen in der Beziehung anhaben und dass keine Waffe so spitz ist wie die verallgemeinernden, aber umso hämischen Worte einer Frau. Natürlich arbeitet man dabei auch mit alten, nicht immer schlichtweg falschen Vorurteilen wie der scheinbar angeborenen handwerklichen Unfähigkeit, dem Kuscheln lieber mit der Katze als dem Mann, der quengelnden Schwiegermutter, dem der Beruf des Eidams nicht gut genug ist und die das auch unmissverständlich zum Ausdruck bringt.
Wahrheiten trifft man auch bei dem Portrait der Gemeinschaft der Tsims, die mal als große Liebe begonnen und sicherlich auch deren Essenz noch bewahrt, aber den Funken der Leidenschaft in befallener Midlife Crisis verloren hat. Der Kerngedanke mag existieren, aber die Nuancen haben sich aufgelöst; an der zunehmenden Konformität und am Verlust von Individualität.

Der Film bewahrt sich dies, den Impuls der Inspiration, die Einbildungskraft seines Gedankenguts, die Sorgfalt für das Mit- und auch das Gegeneinander; wobei die wenig bissige Inszenierung eher den als typisch weiblich zugeschriebenen kulturellen Stereotypen anspricht. Behutsam, friedlich, auch geschwätzig, ein wenig unentschlossen, aber attraktiv und aufreizend. Eine desillusionierende, beinahe paranoide Fernsicht mit illusionierender Spannungsdramaturgie auf die Intaktheit kontroverser Streitkultur und der deutlich spürbaren Distanz zwischen den Geschlechtern. Pang weiß um die richtigen optischen Anheizer, formuliert seine unaufdringliche Herangehensweise mit dem Blick für die vermeintlichen Nebensächlichkeiten und einem absolut nicht wettbewerbsorientierten Metrum, ein Rhythmus irgendwo zwischen schläfrig und süchtig machend. Hält sich bevorzugt an wenigen, dafür umso erstaunlicher anmutenden, beinahe entlang einer unwirtlichen Utopie entlang pirschenden Wohnstätte und lebensfremdem, in Glas, Licht und Treppen verwinkelten Gebäuden auf, kommuniziert nur mit einem sehr eingeschränkten Personenkreis und lässt die Handlung allein durch Eremit Tsim Kin-yip voranbringen.

Dreiundzwanzig Jahre im Dienst, nicht wirklich etwas erreicht, durch seine mangelnde Anpassungsfähigkeit im Kollektiv und dem bevorzugten Alleinsein abgeschottet von der Umwelt. Exakt durch das institutionelle Relikt Simon Yam verkörpert, ein Dinosaurier, der sich einst sehr wohl gefühlt zu haben scheint, aber nun kurz vor dem Aussterben ist.
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