Dienstag, 16. Oktober 2007

Review: Blood Brothers [ 23/08/2007 ]

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Ein Neuanfang verbunden mit der Rückkehr in die Heimat. Ein Debüt, dass gleichzeitig ein Comeback darstellt, die Antrittsrede mit einer Wiederbelebung beginnt und den gesamten Erstauftritt auch als Regenerierung erscheinen lässt. Kein wirklich frischer Wein in die alten Schläuche, die nach der Haushaltsregel dann nur vor Vitalität zerreißen würden. Sondern eine Absicherung durch Erbe und Gepflogenheit, die einzig mit modernen Mitteln noch einmal und durch veränderte Zeit, Umstände und Blickwinkel auch noch einmal neu erzählt werden. Kein stures Nachempfinden vergangener Geschichten und verstorbener Bräuche, sondern das bewusste Ausruhen auf einstmals gebettete Lager, um mit wohlauf erhohlter Kraft eine unverbrauchte Vertrautheit mit Worten und Vorstellungen herzustellen.
Derartig kann man das momentane Hong Kong / China Kino am Besten, vielleicht ein wenig zu idealisierend umschreiben. Blood Brothers ist ein Musterexemplar.

Die Geschehnisse gab es Alle schon, auch die Bilder zehren von überlieferten Begebenheiten, von Hörensagen, Weitergabe durch die Alteingesessenen, von Alt zu Jung. Regisseur Alexi Tan, der zuvor als commercial director für Marketing und Promotion tätig und somit als ästhetisch kultivierter Gourmand beschäftigt war, hat sich dabei gleich von mehreren Quellen inspirierende Unterstützung geholt. Der Ausgangspunkt des Projektes, dass bereits vor drei Jahren seinen Anfang nahm, dürfte dabei durchaus in der anregenden Erleuchtung durch John Woos Bullet in the Head [ 1990 ] gelegen haben. Die impulsive pathologische Studie um drei fest verschworene Jugendfreunde, die auf ewig miteinander und für einander da sein wollen, selbst durch den Krieg nicht zerrissen werden, aber letztlich aufgrund unterschiedlicher Ziele und Werte doch verschiedene Wege gehen, war Woos persönlichstes, wütendstes, unversöhnlichstes und zerbrechlichstes Werk. Dass direkt durch reale Ereignisse und an eigenem Leib erlebter Erfahrung ausgelöst wurde und all den Grimm, Aufbegehren und Schmerz im Rahmen einer ausgeliehenen Genregeschichte mit eruptiver Brachialität regelrecht auf die Leinwand stiess. Obwohl bisweilen als Remake dessen propagiert und mit Woo selber als Produzent beworben hat Blood Brothers außer der Ausgangsidee ebenfalls dreier Männer, die sich seit frühester Kindheit kennen, einander vertrauen und gemeinsam in eine bessere Zukunft aufmachen, überhaupt nichts damit zu tun.

Der hiesige Film, in der direkten Übersetzung des chinesischen Originaltitels "Doorstep to Heaven" oder "Gate to Heaven" lautend, stellt vielmehr eine so stark variierte Übertragung dar, dass ihm die unnötigen und offenkundig einzig für die Verkaufsförderung addierten Querverweise bei einem strengen Blick nur schaden müssen. Tan hatte sich in privater Natur von den Erzählungen Woos animieren lassen, aber nicht nur den Schauplatz ins Shanghai der 30er verlegt, sondern auch die Handlung komplett umgruppiert, sie jeder gesellschaftspolitischen, sozialkritischen, [anti]militärischen Komponente und ihrem undogmatisch offenen Bau entledigt. Und sich statt eigenem Wissen und Wollen vielmehr auf die Grundzüge der Gattung verlassen. Heraus kam ein Gangsterdrama, das für sich alleinstehend gesehen immerhin visuell alles richtig macht, optisch auch blendend ausstaffiert, lieblich besetzt und in seiner geschmackvollen Schöngeistigkeit auserkoren makellos ist. Aber weder etwas Originales noch Individuelles oder zumindest Kreatives besitzt.

Kein eigenes Risiko. Kein eigener Gewinn.
Gesetzmäßigkeiten, die Grenzen setzen und man nicht überschreiten kann, solange man nicht den revolutionären Akt der Selbstbefreiung vollzieht.
Gleichfalls Motto für den Film als auch in ihm:
Jiaoli, in der Provinz Shaanxi. Der Fischer Ah Feng [ Daniel Wu ] wird von seinen Freunden Da Gang [ Liu Ye ] und dessen jüngeren Bruder Xiao Hu [ Tony Yang ] überredet, zusammen der Heimat den Rücken zu kehren, nach Shanghai zu gehen und dort etwas zu werden. Feng lässt sich durch die Aussicht auf Geld - die Freundin hat Schulden, die Mutter ist krank - überzeugen, muss aber schnell feststellen, dass auch in der Großstadt einem nicht alles zu Füßen liegt. Zwar findet er mitsamt den Brüdern bald eine Anstellung beim Gangsterboss Brother Hong [ Sun Honglei ], wird aber schnell mit der skrupellosen Brutalität und kaltschnäuzigen Erbarmungslosigkeit der Unterwelt konfrontiert. Dass er sich in die Nachtclubchanteuse Lulu [ Shu Qi ] verliebt, die sowohl Hongs Leibeigene als auch die heimliche Geliebte des Killers Mark [ Chang Chen ] ist, macht die Konstellation nicht leichter.

Das beehrende Spiel mit den strukturkonservativ-systemimmanenten Materialien gereicht dem Film genauso zum Vor- wie zum Nachteil; die Konzession an die Tradition erleichtert nicht nur den Einstieg, sondern auch die Übersicht über den desöfters kurzatmig stockenden Aufbau. Geschehnisse werden nicht in langwieriger Vorbereitung ausgebreitet, sondern im jeweiligen Jetztzustand angerissen; ein oftmals abruptes Hineinwerfen in die spezielle Situation, die auf zusätzliche Erläuterungen und detaillierte Entwicklung verzichtet und das wenige Gezeigte als Ausreichend betrachtet. Aktuelle Unannehmlichkeiten, Schwierigkeiten, Schwachheiten, Versagen, Probleme oder Verwirrungen werden abstrahiert von Bisherigen, nicht nahtlos miteinander verbunden, vielmehr mit harten Übergängen in Augenschein genommen. Ein vielleicht nicht diskontinuierliches Verfahren, dass aber recht gebrochen und unartikuliert, wie im Nachhinein stark abgekürzt wirkt und auch die ätherisch fragilen Figuren immer autark von den Anderen versiegelt. Dass man keine Probleme hat, der teuren Augenschmaus-Handlung voll weihevoller Noblesse zu folgen liegt an der Kenntnis der nahezu urkundlich beglaubigten Substanz und der ausreichenden Hinweise. Aber ein tieferes Eindringen in die apart fotogene Masse, hin zu Seele und Herz der Figuren, und ein Ausdrücken von elegischer Emotionalität und melancholischer Exzessivreflektionen gelingt damit allein nicht.

Wie auch in Woos Bloodshed-Werken, an die man einerseits erinnert, werden Vertrauen, Freundschaft, Brüderlichkeit, Loyalität, Integrität und ihre Antonyme als entscheidende Auslöser für den späteren Kampf um Leben und Tod herangezogen, allerdings nur in der rhetorischen Behauptung. Der Missbrauch von Glaube, Verlass und Sicherheit bleibt ein ebensolch hypothetisches Statement. Eingefroren in der edlen Ausstattung, dem formvollendeten Doktrin von Ritus und Zeremonie und dem Verstecken des inneren Seins hinter dem äußeren Schein erinnert man zuweilen mehr an das shakespearianische Drama der vorprogrammierten Existenzweise; zuletzt mit seiner "Konstante statt Selbstbestimmung" Formel in den vorjährigen The Banquet und Curse of the Golden Flower nachexerziert. Das komplette Gegenteil von zähnefletschend und zornentbrannt, eher Ungemein theoretische Gesten und Monolog und Dialog wie Amtshandlungen als rein funktionale Vorgänge gehalten. Mit genau inspiziertem Schematismus, der längst nicht nur zur Gewohnheit, sondern regelrecht zur majestätischen Selbstverständlichkeit geworden ist.

Auffällig dabei auch die Überschneidungen mit der damals beginnenden Filmindustrie, die immer wieder als gleichnishaftes Sinnbild, ja als schwärmerische Generalmetapher hinzugezogen wird. Brother Hong stellt in den Augen der Öffentlichkeit grosses Kino her. Lulu, die schon so zumeist vor dem Glitzervorhang parliert, möchte gerne ein Filmstar werden. Ah Feng lädt sie zum ersten Date in ein Atelier, in dessen sichtlich künstlicher Fantasielandschaft sie das einzige Mal unbeschwert sein kann. It's all in the movies statt it's all about love. Analog dazu das perfekte, aber ebenso ernüchternd artifizielle Setting von costume and image designer Tim Yip und production designer Alfred Yau, mitsamt Exaltierter Erzählweise und hochgezüchteter Inszenierung, die selbst die wenigen Actionszenen nach Theaterkunde aussehen lässt. Der unbedingte Stilwillen und die immerhin entsprechende Beherrschung der Festivaldramaturgie sind mittlerweile gängig, aber dennoch beeindruckend. Man verzichtet auf eine trockene Überanstrengung, einen übertrieben hartnäckig steifen Trott und den ewig wiederholenden Kreislauf, und konzentriert sich neben der annähernden Monochromatik der Bilder [eine gigantische Brau-in-Grau-Installation] immens auf den gnadenlosen Konkurrenzkampf von Licht und Schatten.
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