Mittwoch, 21. November 2007

Review: He Lives by Night [ 05/08/1982 ]

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So etwas wie den traditionellen kantonesischen Kriminalfilm gibt es gar nicht, kein konkreter Ursprung auszumachen, keine wirkliche Geschichte, Genremerkmale und Filmauswahl vorhanden. Wenige Werke spielen mit dem "whodunit" Konstrukt, flechten es zumeist in Martial Arts-, Action- oder Horrorgeschichten ein, lassen es aber nie die Hauptrolle in der Erzählung selber spielen.
Zwei der raren Ausnahmen, die dies nicht nur als anheizendes Alibi skizzieren, sondern es direkt mit dem Polizeifilm vereinigen, wurden in den 80ern gemacht, durchaus mit Kenntnis des Besonderen und dem Wissen um eine anpassungsfähige Strategie, der Kunst der Berechnung und der geeigneten Taktik zur Erzeugung von Oberflächenspannung angereichert: He Lives by Night als einzelnes Gestirn in der Morgendämmerung. Und Night Caller [ 1985 ], der auch durchaus als variierendes Remake mit grundlegender Inspiration durchgehen könnte. Auffällig hervorstechend ist bei Beiden vor allem die Beeinflussung des italienischen Genrekinos des Giallo, ebenso wie eine ehrende Verbeugung vor Brian De Palma, der ebenfalls mehrmals zitiert oder auch karikiert wird.

He Lives by Night ist der Unkonventionelle dieser seltenen Versuche; hinsichtlich des Außergewöhnlichen, Auffordernden und Herausgeputztseins auch Erwähnenswerter. Ein Netz aus Geheimgängen. Lebhaft, durcheinander, ungeordnet, aber dennoch markant, eklatant, imposant in seiner materiellen Gestaltung und ohnegleichen phänomenal in der Betonung der formalen Komponenten. Der Film ist nicht zu packen, windet sich trotz der durchaus streng übernommenen Traditionen in seinem ganz eigenen Universum und vermischt ohne Reue entwaffnend extravagante Zitate, Genres und diverse weitere popmediale Einflüsse, welche zusammen mit der unnachahmlich aufgedonnerten Zeitgeschichte sowie der verspätet hinterher hinkenden Filmgeschichte ein halluzinatorisches Kreuzworträtsel-Puzzlespiel ergeben. Ausnahmsweise mal ohne Scheuklappen, dafür düster-kunterbunt im Ton, pittoresk konterfeit, mit milchigem Weichzeichner, gründlich verblasster Farbe und allgemein der negativen Optik noch der 70er Jahre, die im HK Kino mangels nachgehender Uhr und Equipment fern vom Update noch eine Weile in all ihrer verwischenden Pracht zu sichten war.

Der hohe Anteil Unschärfe sowohl in der oberflächlich betrachtenden Handlung als auch der ausgebreiteten Küchenpsychologie. Die stete Wandlung von romantischer Traumheftigkeit über unfreiwilligen Humor, krachledernen Sarkasmus, einer grimmigen Horrorshow bis hin zu abstoßend wirkender Misogynie. Die damals blutjungen Gesichter heutzutage bewiesener Schauspielgrössen, das unverhohlene Anpeilen an wahre Begebenheiten, das kurzzeitig zuckende New Wave Revival: He Lives by Night hat ebenso viele Vorzüge wie Nachteile aufzuweisen, deren gesamt addierende Betrachtung bis kurz vor Ende auch immerfort schwankend gehalten ist. Ein Umherspringen nicht bloß in Zeit und Raum, die man eh nur lose justiert hat, und deren striktes Vorhandensein auch gar nicht gefragt und für ein Verständnis vonnöten ist. Sondern auch das Pendeln zwischen Ernst und Lustig, Hommage und Parodie, Ausgangsbild und Kopie; mit Subplots, die streckenweise schwarz wie die Nacht gehalten sind:

Ein Mörder geht um in fear city Hong Kong. Er arbeitet mit Teppichmesser und würgt mit weißen Netz-Strapsstrümpfen, die er den Opfern zuvor ausgezogen hat. Während die beiden ermittelnden Cops Dragon [ Kent Cheng ] und Lousy Wong [ Simon Yam ] vom C.I.D. noch relativ ratlos in der Gegend herum tapsen und nach den Zeugenbeschreibungen auch nach einer großen Frau Ausschau halten, bringt sie die Radiomoderatorin Sissy [ Sylvia Chang ] auf eine heiße Spur. Gerät dadurch aber auch ins Visier des Killers Eddie Wong [ Ngaai Dik ], der immer auf der Suche nach Blutiger Seide ist.

Von Beginn weg wird dabei sowohl die Übereinkunft als auch der Gegensatz der visuellen zur akustischen Seite bewahrt; das Gleiche gilt für die Dramaturgie, die sich je nach spezieller Szene in einer vision/knowledge Dynamik ergeht. Eingeworfene Fragen werden kurz daraufhin meist selber beantwortet, die anfangs verdeckte Identität des Täters nach einigen knappen Verwirrspielchen eigenhändig aufgelöst und gar mit Vergangenheit, Gegenwart und etwaig möglicher Zukunft in Augenschein genommen. Die Polizisten bekommen mehr, aber dafür auch meist nur überflüssige Aufmerksamkeit zugestanden, so dass sie zwar häufig im Bild sind, aber nichts für den Plot an sich tun; außer sich eben durch nichtigem Bubenstreichen und Streit um Liebesobjekt Sissy als Identifikationsfiguren und vor allem dem Gegengewicht zum Antagonisten zu entwickeln. Der Zuschauer als Augenzeuge weiß alles, sieht sowohl die Vorbereitungen des Killers als auch sein Bemühen um stalk & slash Tathergang und gar -vermeidung durch subjektive Einstellungen selber und darf andersherum auch passiv den police procedural Ermittlungen bzw. dem ausschweifenden Privatleben der Detectives teilnehmen. Speziell das tongue-in-cheek Finale erwartet dann mit der Bewegungslehre zwischen diesen widerstreitenden Kräften, zwischen den unterschiedlichen Zielen und Aktionen der Kontrastparteien, die durchaus mit ambivalenten Zügen und nicht eindeutig bestimmbarer Sympathie gezeichnet werden.

Der Killer ist kein Unhold per se, der einzig seinem Triebzwang und der Bedürfnisbefriedigung folgt, sondern auch zur Person über die obligate analytische Szene und die klassischen Symptome [ Voyeurismus, Glaubenseifer, Erotomanie, Fehlwahrnehmungen, Liebeswahn] hinaus erweckt wird. Mit einfachsten, aber umso effektiveren Mitteln wird das Innere hinter der schreienden Fassade zum Vorschein geholt und trotz theatralischer Dressed to Kill - Aufmachung, dadurch auch starker Anwallungen hin in die Lächerlichkeit und Der Fanatiker Halbwelt-Existenz als zuweilen ganz normale Gestalt mit Sinn für Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe erkenntlich gemacht. Ohne jetzt natürlich gleich die im Umgang mit Transsexualität berührten Konfliktfelder zu definieren und analysieren, deren Einordnung hier fern von ethischen Klärungsbedarf noch als Verhaltensstörung und somit dem Stigmata der Krankheit und für den Film selber zuweilen eher als erschreckende Normabweichung unterliegt. Ein "abnormaler" Killer aus den video nasties, irgendwo zwischen Al Bundy und Ted Bundy, der in Entfremdung, Einsamkeit, Anderssein ebenso gefangen ist wie in seiner Funktion als Antithese. Vollständig konträr zu dem schmissigen Cinema City & Films Co. Intro, dem 80ties Sex im fluoreszierenden Neonlicht, Violet Lams Keyboardscore, Langnasen im Breakdancemodus und den unbeholfen-schabernackigen Flirtversuchen von Dick und Doof in Uniform.
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