Donnerstag, 6. September 2007

Review: Mr. Cinema [ 15/06/2007 ]

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Ein mit viel Zeitdruck und gesellschaftspolitischer Bedeutung beschwertes Projekt, dass Regisseur Samson Chiu im Auftrag der chinesischen Regierung anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der feierliche Übergabe von Hongkong an China in Angriff nahm. Am 30.03.2007 startete die firmeneigene Zeremonie, die der Produktion in den kommenden Tagen und Wochen Glück bescheren sollte; am 15.06 lief man bereits in den Kinos an. Nun ist Schnelligkeit, wenn nicht sogar Hast kein Fremdwort im kantonesischen Filmgeschäft; angesichts der historischen Relevanz, dem sozialen Stellenwert und der beabsichtigten Ernährung des Nimbus der Volksrepublik verwundert einen der späte Zeitpunkt der Inauftraggabe aber schon. Dafür war zumindest die Wahl des Filmemachers und seines Drehteams folgerichtig.

Chiu hat mit dem Golden Chicken Zweiteiler bewiesen, dass er der geeignete Mann für ein ausschweifendes, lang greifendes, aber ebenso übersichtliches Porträt seiner Heimat und ihrer Bewohner ist. Auch hierbei merkt man dem Endergebnis nur selten die drohend tickende Uhr und daraus entsprechend eine vorstellbare Unruhe beim Arbeiten an. Allein das gewonnene Bildmaterial, die Vielzahl von Schauplatz, Intermezzi und Ereignissen sprechen Bände und gestalten das sonst durchwachsene Werk zumindest zu einer zwischenzeitlich schon interessanten, wenn auch reichlich kursorischen und final auch recht belastenden Arabeske.

1967.
Zhou Hung-kong [ Anthony Wong ] hat zwei Träume im Leben. Er möchte unbedingt etwas mit den bewegten Bildern zu tun haben, weswegen er auch Projektionist in einem kleinen lokalen Kino gleich neben seiner bescheidenen Kemenate auf einem Häuserdach wird. Und er will nach Peking, vor allem um den Platz des Himmlischen Friedens zu sehen [dessen dunkler Schatten des Massaker am 4. Juli 1989 geflissentlich ausgespart wird]. Zhou lebt zwar in HK, ist aber von tiefen kommunistischen Gefühlen und idealistisch-patriotisch-altruistischer Selbstaufopferung ausgefüllt, womit er weder bei seiner Frau Chan Sau-ying [ Teresa Mo ], seinem Sohn Zhou Chong [ Ronald Cheng ] noch dem befreundeten taiwanesischen Ehepaar Luk Yau [ John Sham ] und Lee Choi-ha [ Bau Hei-Jing ] auf große Gegenliebe stösst. Während die Zeit vergeht, Chong mit der Nachbarin Luk Min [ Karen Mok ] anbändelt und 1997 nahe rückt, muss auch Kong lernen, dass Träume manchmal nur dann in Erfüllung gehen, wenn man sehr lange daraufhin wartet.

Der gesamte Rahmen umfasst letztlich vier Jahrzehnte; und anders als bei den zwei parallelen Handover - Filmen Hooked On You und Wonder Women liegt hierbei das Augenmerk weniger direkt auf der Liebesgeschichte, sondern schon vermehrt auf den Veränderungen der Zeit, die sich auf Stadt und Personen auswirken. Sowieso ist der apparative Umfang weit verschwenderischer, ja geradezu überbordend im Vergleich zu den Konkurrenzprodukten gehalten, was sich dann auch gleich enorm auf die jeweiligen Vor- und Nachteile auswirkt. Denn Alles, was man gerne ansprechen würde und zur Disposition in den Raum stellt, kann man in 110min nicht näher beleuchten. Geschweige denn zur vollen Zufriedenheit der Zuschauer abhandeln. Neben der lovestory, die sich wie üblich sichtlich früh anbahnt, aber erst über ewige Umwege ans Ziel bewegt, müssen auch die wichtigen historischen Daten protokolliert, das Sittenbild gezeichnet, das Erwachsen werden erfasst und natürlich auch dem Dienstherren in der Obrigkeit gehuldigt werden. Gerade das Letztere verschreckte neben einem überhand nehmenden tearjerker-Syndrom dann sicherlich auch den gemeinen HK-Chinesen, so dass im Einspiel nicht wirklich glorreiche Zahlen eingefahren wurden.

Besonders zu Beginn der Erzählung scheint man sich auch ohne weitere Vorwarnung in einem recht aufdringlichen Propagandastreifen mit viel gedanklichem Relikt bar naturwissenschaftlicher Objektivität zu befinden. Fehlt neben all dem lobpreisend-beschwörenden Gesänge, dem Fahnen schwingen und der aufpeitschenden, oft auch zum unpassendsten Moment vorgetragenen Agitations- und Indoktrinationsansprachen nur noch, dass man vor Betreten des Kinosaals mit KPCh - Ausweis und Parteibuch zusätzlich zum Popcorn ausgestattet wird. Manchmal weiß man dann auch gar nicht so recht, ob das eben Gesagte nun wahrlich so ernst gemeint war, wie es vorgetragen wurde, oder ob darin nicht doch der Schalk versteckt war. Einer für Alle und Alle für Einen als der beseelte Leitspruch der Sozialisten, die angeleitet durch den Marxismus-Leninismus und die Mao Tse Tung - Ideen den kapitalistischen Imperialismus bezwingen, stets am Stil des simplen Daseins und harten Kampfes festhalten und die unterdrückten und ausgebeuteten Volksmassen der ganzen Welt unterstützen möchten.
Der nationalistische Vaterlandsfreund spendet das Wenige, was er hat und soll sich gefälligst von der westlichen Pornographie fernhalten, die ihn ihm nur anti-idealistische, materialistische, heidnische Tumore erzeugen.

Irgendwann hört dieser "Ewiger Ruhm den Helden des Volkes!" - Absatz allerdings auf, und macht neben vielen anskizzierten Abänderungen und Umgestaltungen in Geographie und Seele auch anderen Sichtweisen Platz. Die Menschen in nächster Umgebung Zhous ziehen weg, gehen zuweilen gar ins Ausland, versterben, kurze Wirtschaftshöhepunkte wechseln sich mit schwerwiegenden Finanzkrisen ab, Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit macht sich breit. Wäre der Anteil der persönlichen Krisen der drei Zentralfiguren der Zhou-Familie nicht so enorm und würde das Verhältnis von positiven und natürlich auch den negativen Dingen nicht so stark ins Dramatische überkippen, könnte man dem Film sogar eine sichere Behandlung der jeweiligen emotionalen Bewältigungen bescheinigen. Vor allem findet man die geeigneten Bilder, um zusammen mit der ruhigen Montage und leisen Tönen die gewisse drückende Besinnlichkeit auch beim Betrachter zu erreichen. Besonders geschickt ist das Einbringen der nostalgischen Komponente und der Alltäglichkeit der Ereignisse, die auf den Zhous einprasseln. Das Erinnern an die einstmals besseren Tage, das Verklären vergangener Erfahrungen, das hoffnungslose Nachjagen in ahnungslosem Nichtwissen beschlossener Herzenswünsche, Begehren, Sehnsucht, Verlust. All das spricht als massenpsychologisches Phänomen und kulturell übergreifende Erscheinung unweigerlich Jeden in seinen eigenen Gefühlen an und wird hier mit dem Vorhandensein des Kinos als Ersatz-Utopie rein psychischer Realität sogar noch verstärkt. Nicht nur im Titel wird dabei die Brücke zu Giuseppe Tornatores Cinema Paradiso versucht, dessen Methodik man oberflächlich auch anwendet, diese Kunst der Sentimentalität, den erlesen pointierten Humor oder die metatheoretische Ebene aber verfehlt.

Denn man treibt es mit fortschreitender Dauer zu weit. Wird nicht nur anbiedernd repräsentativ, sondern auch zu manipulativ. Die vermeintlich hässliche Gegenwart fordert derartig viel Heimweh, Säkularisierungsprozess und Weltschmerz von den Beteiligten ab, dass sich aus dem eigentlich als melancholische Komödie vermarkteten Konzept ein rückwärts gewandtes MeloDrama entspinnt, dass sich an langen Gesichtern, auseinander fallenden Gebäuden und schwächer werdenden Körpern geradezu fest beißt. Aus einer [sicherlich auch nicht angebrachten] Jubelfeier wird ein passiv-resignativer Gedächtnistag, der zu oft das Leid der ganzen üblen Welt mit sich schleppt.
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Vorschau: CJ7 [ 2007 ]

Chow's "Hope" becomes "CJ7"
Written by Vicki Rothrock

Funnyman Stephen Chow's A Hope (aka Long River 7) has yet another new title: CJ7, according to a senior source at Sony.

Pic, which is in post-production, will be distributed by Sony Pictures Classics in North America, while Columbia Pictures Film Production Asia acquired world rights outside China.

Fantasy stars Chow as a poor Chinese laborer who learns important life lessons when his son gets a strange new toy.

CJ7, which also was scripted and helmed by Chow, was produced through his shingle Star Overseas in association with mainland China co-producer China Film Group.

No release date has been set, but it's targeted for the Chinese New Year.

Sony previously handled Chow's Kung Fu Hustle and also inked a multi-picture production deal with Star Overseas in May.

The first pic in the deal is Jump a hip-hop dance romantic comedy that stars Kitty Zhang as a cleaner who lives a different life at night.

Pic will be produced by Chui Po Chu (Kung Fu Hustle, Crouching Tiger, Hidden Dragon) and is expected to begin shooting this year. Sony Pictures Releasing Intl. will handle distribution of Jump and all future pics in the deal.

http://www.varietyasiaonline.com/

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Review: Eye in the Sky [ 21/06/2007 ]

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Das Auge im Himmel soll die totale Kontrolle über den Einzelnen erschaffen, ihn aus der Menschenmenge herauspicken können und über jeden seiner Schritte Bescheid wissen. Am Besten noch im Voraus bestimmen können, was die Zielperson dann und dann mit Wem macht; ein Raster errichten, durch dessen engmaschiges Netz Niemand und schon gar kein Krimineller mehr durchschlüpfen kann. Den autoritären Präventionsstaat. Eine Hightech-Überwachungsphantasie, beizeiten vom Staat initiiert und längst zur Realität geworden.
Eine vermeintliche Sicherheit für und gegen den Bürger, die letztlich nur Illusion sein kann und auch mit jedweger technologischen Flucht nach vorn immer wieder Zufälle und andere Schwachstellen aufweisen muss.
Yau Nai-Hois Regiedebüt Eye in the Sky beschreibt im Einzelfall eine Prozedur von Observation und Paranoia. Als Film über weite Teile so stramm geschrieben und inszeniert wie eine aggressivere Manndeckung, mit wenig Risiko, manchen Errungenschaften und hier und da auch Defiziten und Widersprüchen.

Yau, der als bisheriger Autor für Milkyway Films seit 1993 für die Bücher zu den meisten Johnnie To Arbeiten verantwortlich war, kann entsprechend seiner bisherigen Dienste hierbei auch auf das sonstig vorhandene Stammpersonal zählen. Dazu gehört neben To selber als Produzent und einer souveränen Schauspielerriege bestehend aus dessem üblicherweise genutzten cast auch Yaus eigener Co-Writer Au Kin Yee; mit dem er z.b. für Running on Karma oder PTU schon zusammengearbeitet hat. Vielleicht ist es die Einheit aus altbewährten Zutaten und eingespielten Mechanismen, die dieses Erstlinsprojekt so grundsolide gestaltet. Denn einfach zu handhaben ist die permanente Anspannung und das anfängliche Gewusel für einen Novizen eher nicht; bereits in den ersten Minuten könnten zumindest Ungeübte in den Zuschauerreihen die Übersicht auf die Beteiligten verlieren. Nicht weil Yau den Einstieg nicht findet, sondern weil er analog zum Thema von Kettenreaktion, Maßarbeit, Schicksal und Glück eine etwaig verschlungene Gallerie verschieden motivierter Personen entwirft. Jede einzelne Bewegung kann etwas bedeuten, jedes Wort, jeder Blick zählt. Doch erst das Zusammenspiel von Parteien und das Wechselspiel mit dem Gegner ergibt eine klarere Wiedergabe für die Informationsgesellschaft; eine flächendeckende Illustration, die vornehmlich aus Verfolgungs- und Identifizierungstools besteht und konsequent die neuen Methoden für Geolokalisierung und Lauschangriff anwendet.

Während Sergeant Wong [ Simon Yam ] von der geheimen Surveillance Unit seine neue Mitarbeiterin Bobo [ Kate Tsui ] nach einer gepatzten Einweisung zurechtweist, überfällt der Gauner Shan [ Tony Leung Ka-fai ] nur wenige Strassen weiter mit seinen Mannen einen Juwelier. Dabei entdeckt Senior Inspector Chan [ Eddie Cheung ] vom Criminal Intelligence Bureau auf den Aufzeichnungsbändern einen der Verdächtigen: Fatman Ng Tung [ Lam Suet ], der für entsprechende Rücksicherung beim Überfall sorgen sollte und mit der Hand an der Waffe aufgenommen wurde. Die Surveillance Unit soll im durch weitere Informationen eingeschränkten Radius Fatman aufspüren und ihn zu den Hintermänner verfolgen.

Diese einzige Situation mit nur einer Angriffsrichtung lässt die Handlung zuweilen sehr eingeschränkt wirken; auch wenn sich vorgeblich die Priorität ständig ändern kann, der Wissensbedarf universell gehalten werden soll und man sich nach den Worten von Sergeant Wong nicht auf tendenziöses Interesse beschränken soll.
Was anfangs durch die überhandnehmenden Aussenaufnahmen und der realen Bezüge wie der Versuch von Doku-Noir anmuten mag, erinnert alsbald und spätestens im Nachhinein eher an eine vorbereitende Pilotfolge, die ihre Ausgangsepisode mit einer Belastungs- und Bewährungsprobe veranschlagt und sich auf diversen weiteren Standardszenen ausruht. Vom Jäger zum Gejagten. Die Wiederholung der Ausgangslage unter geänderten Umständen. Der Reifeprozess.
Mit den Genrezutaten einer herrschsüchtigen Führungskraft, eines dienstälteren, verständnisvollen, unter die Fittiche nehmenden Partners, der schiesswütigen Auseinandersetzung zwischen Räuber und Gendarm und entsprechend grossangelegten Aktionen. Gemäßigte Schauwerte mit hohem Bekanntheitsgrad.

Lange Zeit bekommt man nichts anderes zu sehen als eine allerorts stattfindende Datensammelei; nach und nach werden in einer Phalanx von Organisationen, Netzwerken und Subjekten diverse Auskünfte von Kreditkarten- oder Telefonunternehmen oder einfach nur durch das Wühlen im Müll zusammengetragen. Ein langsames Engerziehen des Flechtwerks um die Beute herum. Ein Einkreisen, dass aber nicht Aufschrecken soll. Ein hochkomplexes System von Tätigkeiten und Abhängigkeiten, dass das Eindringen in die Privats- und Intimsspähre des angepeilten Zielobjektes so unmerklich wie nur irgend möglich halten soll. Desöfters erscheinen die jeweiligen Vorgänge aufgrund der fehlenden Doppelbödigkeit dabei wie ein starrer Versuchsablauf: Die allgegenwärtige und zuweilen übereifrige Kamera skizziert einen stetig angespannten Moment, in der jede Sekunde hundertprozentige Aufmerksamkeit nach allen Seiten und auf jede Kleinigkeit herrschen muss, aber keine Wahrheit aufgedeckt oder einer Intrige nachgegangen wird. Die bespitzelten Objekte werden auch nur ihrer Erscheinung nach hin analysiert: Herkunft, Mitarbeiter, Delikte, Motiv. Das Offensichtliche der Indizien reicht ja bereits für den Einsatz von Polizei- und Schussggewalt aus. Ein wüstes Feuergefecht mitten auf dem Highway als das Resultat einer gescheiterten Ermittlung.

Yau geht es nicht um die umliegenden gesellschaftspolitischen Fragen der Ausweitung der Befugnisse von Ermittlern und Diensten, die hier sogar gegenüber den Kollegen der Polizei incognito arbeiten, in einer Scheinfirma ihre Unterkunft finden und praktisch geheimdienstlich tätig sind. Auch nicht andersrum um das Problem der Beschränkung der individuellen Freiheit, der Gefährdung der Grundrechte und der folgerichtigen Verfassungswidrigkeit. Das Skript macht seine Ereignisse nicht der öffentlichen Diskussion zugänglich, vermeidet reelle Bedeutung und seelische Tiefe und beschwört ersatzweise einen Copthriller mit verkleinerten Wahrnehmungsraum und einer frostigen Mittel-heilt-Zwecke Interpretation.

Nur in wenigen Augenblicken und dann vor allem in der Figur von Neuling Bobo als den ethisch und moralisch noch nicht distanzierten Protagonisten unterbrochen. Zweimal wird sie während ihrer stillen, bevorzugt zurückhaltenden Tätigkeit Zeuge eines parallelen Verbrechens. Während auf der einen Seite die Allmacht postuliert wird, wird sie auf der anderen Seiten in ihre Schranken gewiesen. Bobo sieht sich in ihrer unerkennbaren Präsenz größtmöglicher Ohnmacht ausgesetzt. Nur zusehen zu müssen und nicht eingreifen zu dürfen und so indirekt zum Opfer eigener Methoden zu werden. Ein Effekt inneren Versagens und äusserer Verluste, der schon in Coppolas Der Dialog herausgearbeitet wurde, hierbei aber weitgehend auf subtile Gefühle verzichtet und stattdessen gemäss dem Titel für die optimale Übertragung sorgt. Sich den sachlichen Ursache-Wirkung-Abfolgen widmet. Versucht man sich einmal an mehr Emotionen, suhlt man sich abrupt in Tragik; wo keine ist und nun erst recht keine entsteht. Auch hat beileibe nicht jede Einstellung ihre besondere Bedeutung; ein auftauchender Nebenstrang, der vorher nur ganz schleichend als Randnotiz eingeflochten wurde sorgt zwar plötzlich für Wirbel, hört aber dann schneller wieder auf als er eigentlich gekommen ist.
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Review: Kidnap [ 14/06/2007 ]

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Als willkommene Abwechslung im Hongkonger Komödienstadl wurden im Juni 2007 auch zwei Thriller auf der Leinwand bereitgehalten; für das kantonesische Kino durch seine rare Anwendung eher ungewohntes Milieu, mit zumeist haltlosen Ergebnissen. Dennoch vermochte sowohl Eye in the Sky als auch der kurz vorher startende Kidnap zumindest als Ausweichprogramm zu banalen Humorangriffen immerhin weitgehend zu überzeugen. Auch wenn desöfters noch der letzte Kniff fehlt und sich die mangelnde Erfahrung im Abschluss immer wieder bemerkbar macht, bekommt man doch zwei Arbeiten geboten, die auf jeden Fall Lust auf Mehr erwecken.
Interessanterweise greift Kidnap - der zeitweilig auch unter dem Alternativtitel Chain Game kursierte -, dabei eine Idee aus eben Eye in the Sky auf. Dort ein kurzes Einsprengsel, dass für einen knappen Moment die gesamte Aufmerksamkeit von Beteiligten im Film als auch dem Zuschauer auf sich lenkt, aber dann keine weitere Relevanz in sich birgt. Hier das entscheidende Thema, der Ausgangspunkt, das Setting, die Problematik.
Die Entführung eines kleines Kindes.

Madam Ho Yuen Chung [ Rene Liu ] wird zusammen mit ihrem Partner Inspector Ho Chi [ Eddie Cheung ] vom Kidnapping des Sohnes von Business Tycoon Wang [ Gwok To ] informiert. Die Lösegeldforderung beträgt 10 Millionen HK$; die Entführerin Lam Hiu Yeung [ Karena Lam ] benötigt den Betrag für eine lebenswichtige Operation ihres kranken Ehemannes Liu Quian [ Xiao Bao ]. Als Ho nach einer Hetzjagd durch die Stadt feststellt, dass Lam und ihre Helfershelfer das falsche Kind entführt und stattdessen ihren eigenen Sohn in ihrer Gewalt haben, ist ihre berufliche Praxis noch mehr gefragt.

Einige Plotpunkte sind dabei so offensichtlich gehalten, dass man sich als Betrachter manchmal schon fragt, ob es überhaupt als Twist angelegt war, oder das Publikum doch in der konservativen Kraft der allwissenden Schiene gebannt werden sollte. Zumindest die Identität des Täters wird nie vorenthalten, sogar mit Vorgeschichte ausgeschmückt, um zusätzlich zu der formellen auch auf der emotionalen Ebene arbeiten zu können. Ausserdem kennen sich die gegensätzlichen Parteien auch im Privatleben: Madam Ho und ihr Team hatten drei Jahre zuvor weder die Geiselnahme von Lams Bruder noch dessen Tod verhindern können; ein Umstand, der aller Leben geprägt und sie auf ihre Weise in einer Art Offener Interdependenz / Korrelation für immer miteinander verbunden hat. Liebe verwandelt sich in Verantwortung, das Opfer wird zum Täter und der Fallensteller zum Gejagten einer gnadenlos tickenden Uhr.

Um das Zentrum der Freiheitsberaubung zirkulierend nutzt der Film entsprechend verschiedene Informationen und Beweggründe, um auch abseits vom technischen Überwachungs- und Ermittlungsverfahren die Konfrontationen auf dem Laufenden zu halten. Während beim eher kühlen Eye in the Sky das Mechanische, Routinierte, Abgeklärte fern jeder persönlichen Beteiligung im Raum stand, tritt hierbei häufig gerade die innere Anspannung, der Wesenswechsel und widersprüchliche Rückmeldungen zutage. Fern des sicheren Hafens eindeutiger Ideologie. Kein Schwarz und kein Weiss auf der Protagonisten- und Antagonistenseite, sondern eine gleichwohl versuchte Ambivalenz. Zuweilen weniger überzeugend als vielleicht mal geplant, aber durch gescheite Darstellerleistungen vor allem von Karena Lam und besonders Eddie Cheung trotzdem gewinnend.

Allerdings hätte man die Figur des schwerreichen Geschäftsmannes aus China im eigentlichen Visier der Kriminellen sowie die tumben nepalesischen Handlanger von Lam als auch Hos geschiedenen Ehemann Chow Siu-chi [ Julian Cheung ] sehr wohl mit ein wenig mehr Schärfe und Tiefe zeichnen können, wenn man sie denn schon in den eigentlichen Prozess involviert und auch an Ihnen das seelische Drama ausprobieren möchte. Nicht funktionieren tut der Schwerpunkt der erneuten Familienzusammenführung in Zeiten der gemeinsamen Gefahr. Die beiden geschiedenen Eheleute, von denen Er auch bereits mit Shirley [ Ella Koon ] eine neue Freundin hat, lassen nunmehr natürlich das sonstig aktuelle Thema des Sorgerechts fallen und verschwören sich zusammen gegen die Hilfe der Polizei, wobei sie auch alte Gefühle wiederentdecken. Eine blosse Behauptung, die außerhalb des Drehbuches nie richtig zum Leben erweckt wird und durch seine sterile Aufnahme mehr Schaden als Nutzen anrichtet; der egoistische Magnat und die eingeflogenen Ausländer für die Drecksarbeit sind noch schlimmere Klischees.
[Gröbster Knackpunkt der Inszenierung und beinahe tödlich für eine fesselnde Atmosphäre ist allerdings die mehrfache Untermalung durch Morricones "The Strength of the Righteous", dessen altbekannten Klänge durch Komponist Tommy Wai kaum modifiziert die Gedanken ständig auf die originale Herkunft The Untouchables ablenken.]

Zum Glück findet Regisseur Law Chi Leung [ Double Tap, Inner Senses, Koma ] noch einen Ausweg aus der groschenheftartigen Stereotypenkiste heraus in die Substanz; der handwerklichen Geschicklichkeit plus dem überlegt angezogenen Tempo sei Dank.
Mit verhältnismäßig großen Aufwand sowie einer ansprechend-hochwertigen Kameraarbeit versehen wird sich beileibe nicht auf dem Studioterrain ausgeruht, sondern emsig immer unter Zeitdruck durch die halbe Stadt begeben. Zwar muss man auf eigentliche Actionszenen gänzlich verzichten, aber darf sich im Kontrast dazu an viel Aktivität und wirksamen Außenaufnahmen mit formidabler Ausnutzung auch mal ungewohnter Schauplätze erfreuen. Jenseits des unmittelbaren Spektakels wird in eigentlich ruhig angelegten Szenen durch viel Sorgfalt anstachelnde Lebendigkeit, Mobilität, Vitalität angeregt. Eine konsequent eigene Bildersprache, bisweilen trocken wie eine scholastische Übung, aber mit Lust an der Präzision. Eine besondere Spielart der Spannungssteigerung, die mit dem Wissensvorsprung, der gleichmässig verteilten Sympathien und dem einfühlenden Miterleben arbeitet, ohne sich gleich in einen erregten Suspense zu bewegen.

Die Sekunden des etwaigen Entdecktwerdens, das Abschütteln der Verfolger und die Konflikte von Pflicht, Moral und Gewissen werden nicht in lustvoll gesteigerten oder gar überspitzt formulierten Höhepunkten geboten, sondern in für heutige Verhältnisse eher laxer Behandlung dargereicht. Potenzial, Tatkraft und Verve der jeweiligen Szenen ergeben sich statt aus den intensiven Zuständen des thrills vielmehr aus der subjektiv verknüpften Wahrnehmung mit der jeweiligen Person. Eine Motivationspsychologie, die stark davon abhängt, wie man sich in die Geschichte und die unterschiedliche Lage beider Parteien versetzen vermag und für welche Person man trotz Ärger, Schuld, Frust und Aggressivität einen Schutzmechanismus entwickelt. Gerade bei dem mehrmaligen Zusammentreffen von Inspector Ho mit seinem "Pflegefall" Lam - die er auch privat unterstützt und freundschaftlich begleitet, aber beruflich als Phantom jagt und unwissend eng auf den Fersen ist -, ergeben sich immer wieder affektive Belastungsproben, die auch fern einer psychoanalystischen Studie eine prekär-zuspitzende Lage formulieren können.
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