Sonntag, 23. Dezember 2007

Review: Corpse Mania [ 03/06/1981 ]

cover
1974 hat Shaws Experte für das Grobe, Regisseur Kuei Chih-hung das einschneidende Horrorgenre mit Ghost Eyes mit aus der Taufe gehoben, Anfang der Achtziger trägt er es mit Samthandschuhen wieder zu Grabe. Zwar sollte das Metier noch einige Monate auch in der Totengruft erblühen, bevor es sich dem schrill aufbereiteten Unterhaltungsjahrzehnt geschlagen gibt; nach Corpse Mania war aber das letzte Tabu gebrochen, die Zerstörung durch die Deutlichkeit bereits voran geschritten und die Balance aus Neugier und Angst, aus Faszination und Beklemmung vorübergehend zu sehr in die Ecke der Abscheulichkeit gewichen. Aus dem furchtsamen Blick in die Abgründe, dem Nervenkitzel beim Schock, der Lust und der Neugier beim Betreten der Orte des Schauderns und des Fürchtens samt heilsamer Katharsis ist dieser Schritt scheinbar einer zu weit in die Urängste hinein gewesen.

Die Eleganz des Phantastischen, der Reiz des Bösen, der Umgang mit dem Jenseitigen, der Bereich des Wunderbaren, des Nichtrealen, der Fiktion wird abgeschnürt und gegen Memento te hominem esse und Memento mori ausgetauscht. Bedenke, dass du ein Mensch bist. Bedenke, dass du sterben musst.
Der antike Mahnruf nimmt im Film selber zwar nur den Aufhänger der Geschichte ein, die diese Verletzung des Bannes zwischen dem Wunsch nach dem Blick und der Furcht vor ihm gar nicht als unbedingten Auslöser bedurft hätte. Eine optische Illusionspraxis. Die eigentliche Handlung würde auch gut ohne ihre trügerische Tendenz zur Transgression, zur ablenkenden Überschreitung auskommen und hat auch genügend weiteres, im Vergleich zum Prolog geradezu harmloses Material für die Befriedigung der Schaulust auch in der Inszenierung des Todes zu bieten:

Guangzhou, irgendwann in den 30ern.
Als der Fäulnisgeruch die umliegenden Anwohner erreicht wird ein erst kürzlich neu bezogenes Anwesen aufgebrochen, dabei findet man eine von Maden übersäte Leiche vor. In der durch die Autopsie festgestellten Gewissheit, dass der nunmehr verschwundene Herr des Hauses erst kurz zuvor mit der angeblich kranken Frau Geschlechtsverkehr vollzogen hat, macht sich Police Chief Zhang [ Wong Yung ] mitsamt Assistent Junde [ Tai Gwan-Tak ] zu seinem Kollegen Liu [ Walter Tso ] nach Foshan auf, wo nur wenige Zeit zuvor ein ähnlicher Fall stattgefunden hat. Liu erzählt ihm die Ereignisse um den mysteriösen Li Zhengyuan, der aus Liebe zu einer freigekauften Prostituierten diese bis in den Tod gepflegt und sie auch darüber hinaus umsorgt hat. Und mittlerweile Interesse an sämtlichen Angestellten der Bordellbesitzerin Madam Lan [ Tanny Tien ] zeigt, auch an ihrer Adoptivtochter Yan Er [ Yau Chui Ling ].

Die Beschäftigung mit dem Thema der Nekrophilie ist in seinen Bildern anders als bspw. die kunstvollen Umschreibungen geträumter Sünden Vertigo – Aus dem Reich der Toten oder Das grüne Zimmer aber zu demonstrativ, zu artikuliert, zu drastisch, um nicht den Preis der Zerstörung der ungeschriebenen Regeln zu zahlen. Dem Fetischismus und dem Voyeurismus wird die Imagination genommen. Auch wenn keine entsetzte Entmystifizierung wie bei dem obduzierenden Gegenstück The Act of Seeing With One’s Own Eyes stattfindet, nicht dokumentarisch in genauer Kälte oder klinischer Distanz hingesehen wird, werden in der Beziehung von Tod / Sexualität, Begehren / Vergängnis, Wonne / Leiden – "even dying is an act of eroticism..." – die Grenzen für Abwegigkeit und Verdrängten nicht bloss angetastet, sondern zu sehr aus dem Geheimnis des Kinos heraus und in die Hilflosigkeit des Lebens hinein gezerrt.

Die Sicherheit der Konvention und die versehrte Schönheit anderer Shawscher Horrorwerke nahe dem gothic cinema ist deswegen hierbei schon von Beginn weg; eine unverschämte Dreistigkeit narrativer Laterna magica, die in seiner späteren Banalität schon wieder äußerst kreativ und vor allem clever ist. Durch die schnelle Konfrontation mit dem Unaussprechlichen wird der Boden sicherer Tatsachen komplett entfernt und das Unvorstellbare zur Realität, auch wenn das Lug- und Trugmärchen rückwirkend recht offenkundig ist. Allein die Szenerie der beiden Städte ist derart übertrieben abgestorben, dass das einstig glanzvolle Studio der Spätromantik schon mehr einem Friedhof bar jedem Ästhetizismus ähnelt. Die Reise von Zhang und Junde nicht von Hell zu Dunkel, sondern von einem trist deformierten Ort zum Anderen, beide von einem wie durch Ansteckung übertragenem Fieber in die Auflösung verzerrt. Es ist niemals richtig Tag, nie hell, nie scheint die Sonne oder wirkt es warm. Ein Reich der Schatten, der finsteren Ecken, hohe Luftfeuchtigkeit drängt den Nebel durch die diesigen Nebengassen, eine klaustrophobische Waschküche aus aasigem Laub, Schmutz, Staub, Spinnenweben, ähnlich dem Elendsviertel Whitechapel. Nach der Erzählung von Liu, die auch gleich die Möglichkeit der Rückblenden pessimistischer Ansichten formuliert, wandelt sich das verwesende Schauerstück auch tatsächlich in eine morsch knarrende Jack the Ripper Inspiration mit makaber ausgeschmücktem Gimmick um.

Aus der desorientierenden, aber zwangsweise mitfühlenden Identifikation mit dem Täter, dem damit verbundenen Angriff auf die Augen und dem sinisteren, an Magen und Nieren gehenden Thema wird eine simple Profiler-Pathologie mit raffinierter Doppelbelichtung. Ein Spiegeltrick, der Linderung schafft. Aus der kurzen, aber heftigen Revolte zurück in den lieb gewonnenen und vor allem Sicherheit gebenden Stillstand. Alles halb so schlimm. Ein mechanischer Bodycountkrimi, zwischen Gruselkarneval und Geisterbahn-Kintopp, nun auch mit Dramaturgie, mit der Rückführung von der Abstraktion zur rechten Ordnung, mit der Eindeutigkeit von Gut und Böse – Li Zhengyuan wird zum aktiven Dirnenmörder, allerdings aus Gründen der Vergeltung – , Geheimgängen und einem Verschwörerplot um Geldgier. Immer noch das Spiel zwischen Dämonischem und Psychologischem, aber das Verschieben vom sexuellen Impuls auf die gewaltsamen Rituale incl. der üblichen Typologie und Symbole der stalk 'n' slash fright night sowie forschem Aktionismus. Mit der Korrektur der bisherigen Erfahrung, der aufatmenden Erleichterung von großen Gesten, sichtlich falschem, fast rosa gehaltenem Blut und ebenso unechtem Schauspiel. Statt wie bisher der Subtilität moralischer Ambivalenz zwischen den Widersprüchen der Wünsche, der Erziehung und der Entfremdung durch die Konsequenzen nicht tolerierter, nicht akzeptabler und somit strafbarer Sexualität.
1
2
3
4
5
6

Review: Sex beyond the Grave [ 11/08/1984 ]

cover
Im Prolog ein Zugeständnis an die Ära der exzessiven Maßlosigkeit zuvor. Statt einer Einleitung zum Film vielmehr das ausklingende Nachspiel auf das Jahr 1983, dass bis zur Einführung des Category 3 Siegels Ende der Achtziger ein letztes Mal die Daumenschrauben zwischen Normalem und Pathologischem anzog. Eine kurze, aber umso lautere Schlussrede zu Mitternacht, um im Morgengrauen Abschied zu nehmen und sich mit wankenden Beinen ins unsichere Kommende der Zukunft zu begeben.

Die ersten Minuten von Sex beyond the Grave sind das Einzige, was dem reißerischen Titel und seinem ebenso Aufmerksamkeit hervorrufenden Originallayout entspricht – ein von Wahnsinn gepeinigtes, schreiendes Frauengesicht, im verblassten Schwarzweiß vor triefend tiefrotem Blut –. Und auch der einzige Akt, der in der drohenden digitalen Spaltung zwischen Horror und FantasyKomödie überhaupt funktioniert. Mit einfachsten Mitteln sogar, einer schlichtweg Aneinanderreihung von Brutalität und Sex im sadistischen Genuss, viel Boshaftigkeit, Infamie, einer ruchlosen Niedrigkeit und Verrohung der Triebe. Eine derbe Tonsetzung mit ebenso eindringlicher Interpretation, die die Grenzen der Abgründe der Psyche ohne weitere Vorwarnung, in einer schiefen Balance zwischen wenig Diskretion und viel Deutlichkeit anschneidet.
Doch dann wird es hell, viele Jahre sind vergangen, die Zeit hat sich geändert und macht einer flexiblen, indeterminierten Unbestimmtheitsstelle Platz. Vom Schrecken ohne Ende zum Ende ohne Schrecken, bei dem die immer freundlicher werdenden Publikumserfolge nicht umsonst Happy Ghost heißen:

Am Ende des Zweiten Weltkrieges erbittet die flüchtende Sängerin Ah Hua [ Kwong Mei Bo ] zusammen mit ihrer Kleinfamilie Unterschlupf auf dem Anwesen von Old Tao [ Gam Biu ]. Doch dieser liefert sie nicht nur dem Japaner Kimura [ Philip Ko ] aus, der Ah Huas Mann und Sohn tötet und sie vergewaltigt, sondern beteiligt sich sogar an der Misshandlung und tötet die Frau anschließend wegen einer Juwelenbox selber. Ab dem Moment ist das Haus samt Grundstück verwunschen; da der Nachkomme Tao Ming [ Goo Goon-Chung ] und seine Frau Ida [ Lai Yin Saan ] wegen Spielschulden das bisher verschlossen gehaltene Gebäude verkaufen müssen, ziehen ihre ahnungslosen Freunde Professor David Yang [ Anthony Lau ] nebst Frau May [ Chin Wai Yee ] und dem vierjährigen Sohn Nicky in die unheilvollen Gemächer.

Die Einleitung nur als rechtfertigende Ausrede für den aktuellen Feldversuch im zeitgenössischen Milieu. Als alibihaft reduzierter Vorwand, um den Schwung des ersten Entsetzens und die Spannung von Anteilnahme und Überschau für den eigentlichen Aufbau auszunutzen. Einführung und Vorstellung der Figurenkonstellation, deren Subjekte als blanke Funktionenträger formuliert werden sowie die endgültige Szenenlokalisierung in das frühere Landbesitztum der Taos nehmen ein ganzes Drittel der eh schon knapp bemessenen, zusätzlich mit strammen jump cuts und ungrammatischem Montageaufbau ernährten Handlung ein. Ein Nebeneinander von ernsten, bemüht komischen, versucht erotischen, mit full frontal nudity aufgeheizten, meist jedoch zutiefst belanglosen Episoden um die Spielsucht des Tao Ming. Stetige Metamorphosen, in denen die Bildelemente fortwährend Gestaltwandeln, merklich an Intensität nachlassen und zuletzt etwas völlig Gegensätzliches als das schockierende Ausgangsbild darstellen.

Ein irritierendes Überall und Nirgendwo, bevor man sich endlich auf bekanntem Terrain befindet: haunted house also. Die Renovierung und Nutzbarmachung von überwuchertem Wildwachstum, dass sich im Kampf Natur gegen Mensch die Grundmauern seiner Existenz zurückerobert und als Sieger über Tod und Sühne postuliert. Die Selbstherrlichkeit des Architekturalen, das als Tatort eines schrecklichen Verbrechens das moralische Gewissen vertritt. Und die Metapher der abgesperrten Tür, deren unbefugtes Öffnen zur Wiederkehr der verdrängten historischen Gewalt, dem Ausdruck der Schuld und Symbol der Bestrafung wird.

Die jeweilige Quelle der Inspiration kann man sich nach eigenen Gutdünken aussuchen; nicht nur von dem Zeitraum der Entstehung her waren es in präziser Weise wohl eher Das Landhaus der toten Seelen, Amityville Horror, Das Grauen statt einem Das Haus auf dem Geisterhügel oder Bis das Blut gefriert. Auch Poltergeist dürfte bei manchen Szenen Pate gestanden haben. Wenn Kühlschrank, Fernseher, Küchengerätschaften, Licht verrückt spielen, Flaschen, Fensterscheiben und Wasserleitungen bersten, Automatisierung, Technizismus, spiritistische Systeme und buddhistischer Glaube aufeinander treffen und Aberglauben, Mystizismus und Okkultismus in einem typisch modernen Haushalt eindringen, sind die Querverweise deutlich.
Exorzistische Aktivitäten, religiös motivierte Rituale und kirchlich-heilsgewisse Paraphernalien im Kampf gegen die nur in der Wirkung sichtbaren Kräfte der Schreckgespenster sind ja allerdings nur ein Aspekt der erstaunlich antichristlichen Geschichte. Leider. Und leider selbst dann noch nicht einmal der überzeugendste.

Zwar arbeiten die Effektspezialisten mit durchaus gekonnten Attributen, wenn es denn mal daran geht, dem Haus ein störrisches Eigenleben zu verleihen und den destruktiven Hammer gegen die renovierte Einrichtung und ungebetenen Besucher zu schwingen, tun dies aber in rein oberflächlicher Spektakel-Referenzialität, die nur auf die psychische Stimulation beruht. Eine bloß instrumentelle Sichtweise, die sich auf die textexterne Kategorie der schieren Taschenspielerei und anderem Gauklerdasein ausruht und dabei bereits die noch kommenden Trickschlachten in expressiv akustischer und visueller Lautstärke vorweg nimmt. Geschieht dies mit dem simplen Verrücken von Gegenständen, wie es bereits in der wüsten Zimmerzerstörung bei Devil Fetus mit beeindruckenden Ergebnissen praktiziert wurde, so darf man auch hier Erfolg bescheinigen; sobald man sich aber komplett in die Zaubermanege der Destabilisierung stürzt, folgt auch schon der tiefe Fall ins Lächerliche.

Aktionen direkt aus der Augsburger Puppenkiste, die anwesende Figuren als Helden aus Holz wie im Lummerland herum segeln lassen, bewahren durch ihren naiven Charme ja immerhin noch die joviale Sympathie des schon ein wenig konsternierten Zuschauers. Nur, besonders der im damaligen HK Kino beliebte Einsatz der bunten Malstifte, indem einfach Blitze und andere Objekte in die Leinwand gezeichnet werden, wirft das ganze Projekt schon auf eine derart kindische Stufe zurück, dass neben "Hauptsache billig" und "Qualität ist Nebensache" auch noch das plötzliche Infantile rückwirkend jeglichen positiven Eindruck empfindlich schmälert.
1
2
3
4
5
6

Review: Hell has No Boundary [ 04/06/1982 ]

cover
Kleine, nicht gleich knifflige, aber gut besetzte Fingerübung von Richard Yeung Kuen, der ein Jahr darauf seinen Paukenschlag Seeding of a Ghost abliefern sollte und hierbei schon vorbereitend alle Zutaten kredenzt. Ein Köcheln noch weitgehend für den privaten Testbereich, das Pochieren mit Maden, Schleim, Spülwasser und Erbrochenem im urangrün getöntem Licht, dass mal nicht die Farbe des Lebens, sondern der Gefahr bis hin zum Tode symbolisiert. Ein halluzinatorisches Traumwandern in die Zwischenwelt der Geister und Dämonen, die ihre unglückselige Existenz bedrohlich in die nur scheinbar harmlose Realität überlagern oder gleich die Opfer in ihren Machtbereich saugen. Ein negativ besetztes Wachsen und Gedeihen, ein wenig beruhigendes und schon gar nicht harmonisierendes Sinnbild für die Verschiebung der heilen Welt in das folgenschwer ausschwingende Schattenreich des Karma, in dessen Kreislauf der Wiedergeburten Gleiches erneut Gleiches erzeugen muss.

Hell has No Boundary ist ein mehrfach geschnürtes Paket, dass seine Konzentration auf das Wesentliche durch eine weitreichend facettierte Erzählführung und täuschende Ornamente an der oberflächlichen Wandung lange Zeit verbergen möchte und dies auch kann. Ein kombinatorisches EC Comic mit Mehrdimensionalität und Tiefenstruktur. Die Handlung entwickelt sich schnell, aber eben nicht eindeutig und schon gar nicht mit Erklärung und Motivation, sondern vielmehr allseitig befähigtem Erfahrungs-, Deutungs- und Verständnismuster, in dem Erinnerungsspuren in neue Sinnzusammenhänge gebracht werden. Ein alogisch polymorphes Stochern im Genre des Okkulten, zwischen Der Exorzist und Das Omen schwankend und gleichzeitig die aktuelle soziale Komponente, die sexual subversion und ein seelisches Niemandsland ansprechend. Aber eigentlich geht es um das Wissen von Reinkarnation und Karma. Darum, dass man sich immer zweimal im Leben sieht. Eine Redensart, die viel drohendes Versprechen und Andeutung für eine späte Revanche und so das Kosmische Prinzip von Ursache und Wirkung bereithält. Aktion gleich Reaktion. Ein Energiefluss, der mit selber Intensität zum Ausgangspunkt zurückkehrt, auch wenn dazwischen mehrere Jahre auseinander liegen können:

Wenn Cheung [ Derek Yee ] vorher geahnt hätte, was sein Geburtstagsgeschenk für Freundin May Wong [ Lau Suet Wah ] alles auslösen wird, hätte er sie sicher nicht auf eine schroffe Felseninsel zum Camping eingeladen. Schon bei der Ankunft hat sie seltsame Erlebnisse, am Ende des Tagesausfluges jagt, quält und ertränkt sie beinahe ein Kind. Dafür läuft es im Büro besser; Polizistin May kann ihre beiden Konkurrentinnen für die Beförderung ausbooten und steigt trotz des Einspruchs ihres direkten Vorgesetzten Inspector Wang [ Yueh Hua ] die Karriereleiter hinauf. Dass sich die Unglücksfälle in ihrer Umgebung schlagartig häufen, fällt dabei nicht nur dem Reporter Koo [ Ken Tong ] auf. May scheint besessen und mit übernatürlichen Kräften ausgestattet zu sein.

Dem wenigen Vorlauf sei Dank wird auch die etwaige Idylle im Leben des Paares derartig kurz gehalten, dass man sich abseits einer gemeinsamer Bootstour samt anschließendem Grillabend gleich auf die weitreichend verzwickte Geschichte zwischen suggestiver und autoritärer Welt verlagern kann. Statt der Abbildung des Glücks wird ein rascher Blick auf die urban modern-day Wirklichkeit geworfen, dort aber dem Grauen ein Gesicht mit anmutiger Maske und dem baldigen Chaos des Schaudern eine feste Form verliehen.
May und Cheung arbeiten zwar unter einem Dach, scheinen dort aber nicht in der selben Einheit integriert zu sein und wohnen auch nicht zusammen; eine Tatsache, die sich beizeiten noch als einschneidender als angenommen erweisen soll. Sowieso wird die gesamte Personenkonstellation auch einschließlich des Inspectors, seiner Schwester – einer Art Hohepriesterin mit Hokuspokusfaible – und auch der beiden zwei weiteren Kandidaten für den ausgeschriebenen Sergeantposten noch einmal unter veränderten Prämissen in Augenschein genommen:

Eine wirkungsstarke Episode aus der dunklen Krise des Zweiten Weltkrieg wird als Rückblende aufgerufen. Ein groteskes, kalkuliert verfremdetes Historienpanorama angefüllt mit Niedertracht, Unmenschlichkeit, Abartigkeit bis zum Exzess, mit japanischen Hitlerbärtchen, sexuellen Belästigungen, Kindstötungen, Kannibalismus, Ausweidungen und Drogenschmuggel per leerem Menschenkörper.
Eine eigentlich universale Transkription des unvorstellbaren Grauens, dem, wenn dies denn in provozierender Allegorie mit destruktivem Impuls gehalten wäre, der heutige Nachklang des Schreckens wenig entgegensetzen vermag. Regisseur Yeung greift zwar bewusst auf die traditionelle Traumsymbolik ebenso zurück wie er an die Urängste des Menschen appelliert – Stürze und Fallen aus großer Höhe, Ertrinken, Feuer, Ersticken etc. –, allerdings ist die hiesige Produktion der Horrorbilder nur eine spekulative, nicht automatisch spektakuläre Simulation der Grausamkeit im trivialem Stil. Statt subversiver Kritik am Bestehenden oder der radikalen Auflösung im Schock mit viel abergläubischen Spiralnebel, ebenso emsig unfreiwilligem Humor und zäsuierenden Kleinszenen umwabert. Ein soweit schon sicheres Auftreten, aber ohne Nachdrücklichkeit in der Rede, offenkundig theatralisch und stark in Richtung exploitivem Trashkino mit überkünstlich knallrotem Gelatineblut. Wie laminiertes Hardcover, dass für die Pulp-Käuferschar eine erneute farbrestaurierte Machkolorierung verpasst bekommt.

Zumindest die materielle Tatsache, dass sich Jeder von Ihnen schon früher über den Weg gelaufen ist und man dort auch in unterschiedlicher Bindung mit speziellem Einfluss zueinander stand, setzt das bisher recht vordergründig gehaltene Geschehen prompt in das Postulat der moralischen Weltordnung und damit in ein neues Licht. In das besagte Grün nämlich.
Grün steht in China auch für das Yin, dem passiven, empfangenden Prinzip. Dem weiblichen Gegenstück des Yang, dass als aktiv und schöpferisch beschrieben wird. Analog zur Frequenz des alles bestimmenden Kismet braucht auch die taoistische Zirkulation das Gleichgewicht in der Natur und damit die richtige Balance. Zwei sich ergänzende, nicht voneinander trennbare Elemente. Cheung und May gehen allerdings verschiedene und auch noch umgekehrte Wege. Während er in seiner Aufgabe versagt, einen extra Rundkurs auf dem Behördenweg einlegt und mit seiner Stelle hell auf zufrieden ist, ergreift sie notgedrungen die freigewordene Initiative der gesellschaftsstabilisierenden Waage; dabei weist sie ein sehr irdisches Begehren für eine eigentlich transzendentale Macht auf: Die berufliche Laufbahn. In der Männerdomäne.

So setzt sie ihre neu erworbenen, des Nachts auf der Insel aufgezwungenen Kräfte und den Vergeltungswillen bevorzugt dafür ein, zielstrebig mißliebige Zeitgenossen aus der Gefahrenlinie zu schaffen. Wobei sie als kühles, zänkisches Karrierebiest nicht nur mit den Waffen der Frauen arbeitet, sondern die Feinde desöfters einem manipulierten Wachbewusstseinserlebnis aussetzt und so geradezu über Leichen geht. Eine sinntäuschende Trugwahrnehmung mit hypnotischer Regression, die die Opfer einer für sie realen Bedrohung freigibt, die von Außenstehenden aber nicht gesehen, auch nicht innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft liegen und so als Todesursache ausgeschlossen wird.
Das eiskalte Matriarchat der Gegenwart arbeitet im emanzipatorischem Dreifrontenkrieg auch mit illusorischen Attacken von Kampfhund, Schlange, Krabbe, Würmern usw., die die Durchschlagskraft des cinéma fantastique in der alltäglichen Praxis vorführen. Eine Ausgeburt der Hölle, ein buchstäbliches "Es müsste schon mit dem Teufel sein", wenn die Frau ganz nach oben gelingt.
1
2
3
4
5
6