Samstag, 22. Dezember 2007

Review: Blue Jean Monster [ 23/05/1991 ]

cover
"Ungefähr alle dreiunddreißig Jahre wiederholt sich ein Ereignis in unsern Gassen, das gar nichts besonders Aufregendes an sich trägt und dennoch ein Entsetzen verbreitet für das weder eine Erklärung noch eine Rechtfertigung ausreicht."

Was auch immer für eine Giftgaswolke über dem Duftenden Hafen an der Südküste der Volksrepublik China im Jahre 1991 gelegen haben mag, sie hat zumindest die Kreativität und das Talent gleich mit der Autoren und Regisseure der nahe liegenden Umgebung positiv beeinflusst und sie zu einem höheren Bewusstseinsstatus verholfen. Anders lässt sich nicht erklären, wieso ausgerechnet dort und dann mit der synkretistischen Action / Horror / Slapstickkomödie Blue Jean Monster eine Golem-Sage zeitgemäßen Ursprungs entstand, die die vorhandene Materialkombination des Jüdische Märchens kontinuierlich neu assoziiert. Sicherlich eine Variation mit semantischem Unverständnis nur, eine Verlegung in die moderne Zeit, die genauso viel der amerikanischen 80er Jahre Science Fiction um Dead Heat, RoboCop und Terminator zu verdanken hat und sowieso in Berauschung und Inspiration aus den verschiedensten Stilelementen und Denkschulen gespeist ist. Aber ebenso den Wunsch der Geschichte entspricht, dass eine künstliche, starke und schützende Figur mit menschlichem Ebenbild geschaffen wird, die den Schwachen und Unterdrückten beisteht und sie vor Verfolgung und Bedrängnis bewahrt. Auch hierbei die Erweckung toter Masse zu lebendiger Existenz, die als Art patrolman mit wachsenden eigensinnigen Charakterzügen die Straßen säubert und ansonsten zurückgezogen in seiner eigenen Stube verkehrt.

"Mache ein Menschenbild aus Ton, und Du wirst der Böswilligen Absicht zerstören."
Polizist Hsiang Tsu [ Shing Fui On ] wird bei der Vereitlung eines brutalen Banküberfalls durch herabfallende Eisenstreben getötet. Als er wenige Stunden später nach einem deftigen Stromschlag trotzdem wieder im heimischen Bad steht bemerkt er erste Auflösungserscheinungen seines Körpers; nicht nur, dass sich seine Augen nicht an grelles Licht gewöhnen können und er oft Schwächeanfälle hat, auch fühlt er keinen Schmerz und kann auch keine Nahrung mehr zu sich nehmen: Ein großes Loch im Bauch stößt jede aufgenommene Mahlzeit sofort wieder ab. Da seine Frau Chu [ Pauline Wong ] hochschwanger ist verschweigt er ihr seine Veränderung und macht sich stattdessen auf ruheloser Wanderschaft an die Verfolgung der Kriminellen. Vor seinem Informanten Mr. Big [ Tse Wai-Kit ] und dessen forscher Freundin Gucci [ Gloria Yip ], mit denen er ebenfalls zusammen wohnt kann er sein abnormes Verhalten allerdings nicht lange verbergen.

Während Paul Wegeners Film Der Golem, wie er in die Welt kam den jüdischen Volksglauben im kollektivem Wunsch nach Sicherheit mit dem christlichen Faust-Mythos verband, orientiert man sich hier eher an Gustav Meyrinks Roman "Der Golem", in dem die fantastischen Elemente der polnischen Kunde mitsamt alten mystischen Spekulationen gekoppelt und zu den naturalistischen Schilderungen kontrastiert werden.
Im hiesigen helter-skelter Skript eine Rückführung auf die talmudische Aggadah, die in der Jetztzeit zusammen mit dem buddhistischen Glauben an die Reinkarnation aus dem Karma des Gestorbenen eine modernisierte Populärfabel formulieren. Den Einbruch des Übernatürlichen in eine real erfahrene, hier noch in typischer Hong Kong Manier äußerst bunt und gleichzeitig einfältig gehaltene Welt, deren Mitwirkende in aktueller Hochhausarchitektur auf klaustrophobisch klein gebauten Raum leben und agieren. Gemeinsamkeiten der Handlung, die im wesentlichen Bestandteil durch diesen privaten patchwork-Familienteil statt dem öffentlichen Auftreten gekennzeichnet ist, sind die komplette Übernahme der biblischen Schöpfungsgeschichte, des Frankenstein-Aberglauben und der Anmaßung der artifiziellen Person, selbst wie Gott sein zu wollen und sich gegen seine Schöpfer aufzulehnen; allerdings fern jeder politischen Allegorie oder auch eines wahrhaft fatalistischen Tones.

Tsu stellt zwar eher Doppelgänger des Menschen mit neuen Stärken und neuen Schwächen dar, dessen Beseelung auch durch Strom und weder durch Gebete noch magische Formeln erreicht wird, aber der auch den Ehrgeiz hat, selbst zum gottgleichen Erzeuger neuen Lebens zu werden und unbedingt sein Kind zu sehen. Seine "Geburt" ebenfalls in einer Gewitternacht, statt in einem Turm auf einer skelettartigen Baustelle, ein genauso "gottverlassenes Krähennest". Die Problematik, danach ohne Zeugungskraft und Trieb zum Weibe zu sein. Der Triumph seiner sonstigen neuen Fähigkeiten und der blockierte Drang zu sinnlicher Erfüllung wandeln sich zuweilen in unbeherrschte Zerstörung aus der Chelmer Traditionslinie um, in dessen Scheitern er zunehmend die Kontrolle über seinen Körper verliert und zur Gefahr für sich und andere wird. Und er benötigt permanent Anabiose, um die Schwelle zwischen Leben und Tod zugunsten des Ersteren zu halten; ständig neue Elektroschocks, die er sich erst im Krankenhaus auf der Intensivstation und bald daheim mit einem umgebauten Bügeleisen abholt. Sein zunehmend bleicher mongolischer Körper als wiederaufladbare Batterie, dessen Energieversorgungs-Kit bei zu viel Leistung auch schon mal in Zeitraffer und Mickey Mouse Stimme verfällt.

Also erst Räuberpistole, dann Jägerlatein, dann Scharlatanerie mit dem Motiv des magischen Knechtes. Eine okkulte Wunderlegende im analogen Stil des Formlosen, Ungestalteten, mit wenigen, aber dank urwüchsig kernigem Vorgehen dafür umso fulminanten Actionszenen in drastischer Frohnatur.
Dafür, dass man trotz dem Plündern des Zitatenschatzes kein später Abklatsch weit verbreiteter Vorstellungen und vielmehr ein Vorschlag zur Neudefinition und Ergänzung wird, sorgt dann schlussendlich der disgusting gross out Humor der oft allerderbsten, zuweilen auch grauenerregend geschmacklosen, aber nichtsdestotrotz schwarz-obskuren Sorte. Bevorzugt weit unter die Gürtellinie zielend werden Schusswunden mit der Monatsbinde der Frau versorgt, die bereits verdauten und durch den offenen Magen wieder ausgeschiedenen Nudeln zufälligerweise dem Mitbewohner zur Verköstigung angeboten, in offensiv naiver Weise über Sex in der Schwangerschaft, außerehelichem Verkehr, die Vorteile der Prostitution, die Nachteile der Homosexualität, AIDS, Behinderte und Silikonbrüsten debattiert.

Adäquat zu den bad taste jokes die Wahl des Hauptdarstellers, das Gegenteil eines ewigen Sympathieträgers und wohl kaum salonfähig: Shing Fui On, der sich vorher und danach als nebenberuflicher Triadenscherge mit grimmiger Miene durch das Leben schlägt, ähnlich gross, klobrig, grobmotorisch unbewegt wie die Prager Lehmgestalt gebaut ist und seinen einmaligen Fokus mit sichtlichem Spielwillen revanchiert.
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