Dienstag, 23. Oktober 2007

Review: The Rebel [ 2006 ]

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Das Spektrum an vietnamesischen Filmen fängt bei den Meisten bei Tran Anh Hungs Der Duft der grünen Papaya an und hört bei seinem Cyclo auch schon wieder auf; mit Achtsamkeit und Lerneifer haben Manche diese Streuweite noch auf weitere Exponate auch der Filmemacher Victor Vu, Tony Bui, Ham Tran oder Minh Nguyen-Vo gedehnt. Richtige Aufmerksamkeit abseits dieses natürlich recht kleinen Kreises erregte erst wieder eine reine Genrearbeit, die gemeinverständlich einfach, mit massenkompatiblen Schauwerten und entsprechend gattungsreferentiellen Verweisen gehalten ist:

Truc 'Charlie' Nguyens The Rebel, dessen Originaltitel Dòng Máu Anh Hùng auf die Heroic Bloodshed Werke des Hongkong Kinos hinweist und sämtliche weitere Andeutungen leicht in Richtung der thailändischen Actioner um Panna Rittikrai und seine Schützlinge Tony Jaa und Dan Chupong verlegt. Ein netzwerkartiger Vergleich, der abgesehen einiger weniger Gedankengänge und offensichtlicher Lockmittel kaum etwas mit dem Film selber zu tun hat, aber natürlich beim ausländischen Rechteverkauf der 1,5 Mio USD teuren Chanh Phuong Phim Produktion half und die amerikanische Auswertung schnell in die Hände der emsig hantierenden Weinstein Company sog.

Grosse Anziehungskraft üben dabei die hervorstechenden action-standouts aus; eine gute dosierte Palette an Feuergefechten und waffenlosen Techniken, die sich neben der Inanspruchnahme von Hilfsmitteln und Alltagsgegenständen vor allem auf Knie-, Ellenbogen-, Bein- und schließlich auch Fausteinsatz verlassen. Eine nüchterne, dennoch äußerst wirksame Anordnung aus Muay Thai, Tae Kwon Do, Kali und Escrima, zusätzlich mit Jeet Kune Do und Wushu angewürzt. Keine elend langen Auseinandersetzungen, sondern immer hinsichtlich Ursache und Wirkung und der entsprechenden Nützlichkeit, Funktionalität, Effektivität und Verhältnismäßigkeit ausgerichtet beeindrucken neben den physischen Fähigkeiten aller Beteiligten auch der professionelle Stuntgebrauch – deren vorbereitende Planung nicht wenige der 80 Tage Drehzeit verschlungen haben dürfte – und die außerordentlich sichere Benutzung von Lichtgestaltung, Setaufbau, Bildsetzung, Kameramobilität und Schnitt.

Die internationale Ausrichtung kam deswegen sicherlich nicht von ungefähr, dennoch gelingt es Nguyen, neben einem hohen Maß an Datenunabhängigkeit, der allgemein gängigen Geschichte, dem Ansprechen grundlegend begreiflicher Emotionen und einprägsamer, wenn nicht gleich tiefer Figuren vor allem eines: Das Schaffen eines handwerklich erstaunlichen tadellosen Filmes, der die exakte Dramenklaviatur versteht, um die jeweils geeigneten Konfrontationen weiß und sie auch zumindest derart involvierend steigern kann, dass in der finalen Eruption nicht nur das Adrenalin, sondern auch das Herz einen Sprung nach oben macht. Dabei hilft vor allem die eigentlich ruhige Gangart, die sich plastisch und kommunikativ zugänglich um das Geschehen schmiegt. Eine filigran ziselierte Dynamik, die in vielen Szenen so zart und zerbrechlich wie Reispapier erscheint, trotz der Dominanz der Bildmediums samt aller monumental anmutender Einstellungen und der archaischen Handlung auch Unschuld und Naivität bewahrt hat und neben dem schematischen Fortgang auch Seele, Psyche und Gemüt einfließen lässt:

Vietnam, 1922.
Das Land ist seit einem halben Jahrhundert unter französischer Kolonialherrschaft. Die Last der stetig erhöhten Steuern, der Enteignung und Zwangsarbeit ruft die Bauern zum bewaffneten antifranzösischen Widerstand auf, der von der Verwaltung und der ausführenden Soldateska mit willkürlicher Beraubung, Internierungslager, Exekutionen und der Schaffung einer eigenen Eliteeinheit an vietnamesischen Agenten beantwortet wird. Le Van Cuong [ Johnny Nguyen ], der für Sy [ Dustin Nguyen ] und Colonel Derue [ Stephane Gauger ] tätig ist, ist des ständigen Mordens müde, ertränkt sein Schmerz im Alkohol und verhilft letztlich der gefangenen Rebellin Thanh [ Vo Thanh Thuy ] zur Flucht. Eine Menschenjagd durch Stadt und Land schließt sich an.

Die permanente Belagerung des Gebietes, das unterdrückende Drangsalieren und die Bürde der auferlegten Knechtschaft verbucht auch ohne ausführliche Schilderung eine Situation von Gefahr und Tod. Ein knappes Insert, das nur gering auf die Historie eingehen muss, um schnell die angespannte Lage zu umreißen, den Kampf um die Freiheit zum Kampf um das Leben zu verdeutlichen und die Seiten der Kontrahenten strikt zu veranschaulichen. Keine komplexe, schwer durchschaubare Semantik; so bedarf es auch weniger Worte und Ausführungen, um die Erzählung einer beginnenden Veränderung einzuleiten und ohne große Lücken und Hindernisse allein durch konkret artikulierende Vorgänge voranzubringen. Ein Illustrieren auf ausgedehntem Rahmen, allerdings nur auszugs- und abschnittsweise, ohne immense Vertiefung und titanisch voluminöser Ausbreitung. Ein leichtes Anskizzieren der allgegenwärtigen Despotie, von Repression und Terror. Die Darstellung unbemäntelter Assoziationen. Das Manifestieren einiger konkreter Akte, um mit didaktischem Anspruch die Negation gegen die ausländischen Teufel zu schüren. Bodenständiges, ablauforientiertes, prozedurales Denken und vor allem Handeln.

Besonders die Ausgangsdaten erinnern an eine Nachdichtung des gleichjährigen Dynamite Warrior [und wohl auch der Vorwegnahme des kommenden malayischen Kinta 1881]: Die Orientierung an derselben Problematik, realen Tatsachen und einem hypothetisch-kontrafaktischen Geschichtsverlauf sind ebenso offensichtlich wie die Übernahme des Funktionenmodells des Italowesterns, incl. der "Diener zweier Herren" - Frage. Nur diesmal nicht als Bizarro Trash im Anarchoklamauk, sondern mit schon ernstem Ansinnen.
Nebst einiger unverblümter verbaler Anklagen an die damaligen Schreckensherrscher, die auch manche Male ausgiebig Gelegenheit erhalten, ihre Unmenschlichkeit demonstrativ zur Schau zu stellen, ist es vor allem auch die spürbar dünne Rechtfertigung "Nicht alle Franzosen waren schlimm", die dem Film durchaus seinen Drang zur simplen, indiskreten Schwarzweissmalerei verleiht. Eine Figuren- und Szenenzeichnung, die abstrakt gesehen unstimmig übertrieben und vereinfachend banal gehalten sein mag. Aber vor dem Hintergrund der weltpolitischen Ereignisse besonders auch nach Ho Chi Minhs Unabhängigkeitserklärung im September 1945 und der Veröffentlichung zum 32igsten Jahrestag der Wiedervereinigung im April 1975 verstehbar, wenn nicht gleich komplett verzeihbar ist.

Gelungener als der Bezug auf Herrenmenschentum, Rassismus und Darwinismus ist der Einschub des Generationenkonflikts, die offenkundige Wanderung von der neu geschaffenen vermeintlichen Zivilisation in die noch jungfräuliche Wildnis und die Synopse über die Entscheidung zwischen Moral und Pflicht, Willen und Befehl. Als Le Van Cuong und Thanh aus der nunmehr französischen Stadt fliehen und sich in die ursprünglichen, von Fremdeinwirkung unberührten Wälder begeben, wechseln sie nicht nur Kleidung und Identität, sondern verlassen auch den gesamten Kulturkreis der Gesellschaften und legen den angeblichen Fortschritt von Wissenschaft und Technik ab. Auch die Ausrichtung der Personen auf ihre Eltern fällt vielfach auf. Einschließlich Jeder der Beteiligten steht entweder in der Schuld ihrer Vorfahren, in der Verantwortung für ihre Taten oder sieht sich gleich ganz als Vollstrecker ihres Erbes und möchte deren Lebenswerk fortführen bzw. das strikte Gegenteil dessen entgeltend verbüßen.
Ein immer während kontiniuerlicher Kreislauf, mit epochaler Gleichnisfunktion.
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