Dienstag, 22. April 2008

Review: Hong Kong Bronx [ 31/01/2008 ]

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In sich weiterhin recht beständiger Konsequenz mit dem Umfeld des Triadenmilieus befassend kann man Regisseur Billy Chung mittlerweile fast als Messgerät für das entsprechende Genre einstufen; als aktive Rolle, die seit nunmehr schon 17 Jahren vielleicht nicht gleich die Hand am Puls der Gattung, aber die jeweiligen Entwicklungen zumindest diensteifrig nach gearbeitet hat. Von Legend of Chiuchow Brothers [ 1991 ] bis hin zum letztjährigen Undercover [ 2007 ] wurden mit kleinen zeitlichen Aussetzern und Abstechern in anderen Gefilde immer wieder Geschichten um aufsteigende Gangster, sich zur Ruhe setzen wollende Aussteiger, zwischen Beruf und Gesinnung zweifelnde Polizisten und den Machtkampf zwischen Verbrechern und Gesetzeshütern erzählt.

Aufgrund der Anpassungsfähigkeit von Chung und den veränderten Umständen bezüglich des Schwerpunktes der Handlung, des Produktionsvolumens oder auch der Mit- und Zuarbeiter ähneln sich die Schilderungen materiell genauso wenig wie formell. Ein Chung - Film ist trotz der Serienmäßigkeit nicht auf den ersten Blick identifizierbar und weist auch beim näheren Hinsehen keine genau überprüfbaren, stetig wiederkehrenden Kennzeichen auf; die zusammenziehende Eigenschaft und seine spezielle Individualität und Subjektivität ist vielmehr die handwerkliche Profession, die pflichtgetreu einordnungswillige Schmiegsamkeit und der Verzicht auf ein Extravagieren.

Auch Hong Kong Bronx, sein bisher aktuellstes Werk, heimlich, still und leise für wenige Tage ins Kino entlassen, zeichnet sich vor allem durch die aufnahmefähige Flexibilität und vorgefasste Ideen aus. Von vornherein im Budget begrenzt und deswegen mit wenig Handhabe ausgestattet verschafft Chung dem Film mit Kunstgriffen eine punktweise individuelle Präsenz; eine eigentümliche, vielleicht auch ein bisschen eigenbrötlerische, aber dennoch oder eventuell auch deswegen signifikante Aura. Im Dunstkreis der Gewalt. Mit dem Nimbus einer Sackgasse, die keinerlei Entkommen zulässt. Das Endziel steht bereits am Anfang, die Uhr tickt nicht nur bedrohlich, sondern zählt schon den Countdown des vollziehenden Verhängnisses herunter und lässt sich auch nicht mehr umstellen oder anderweitig aufhalten.

Die Gelegenheit des Entkommens hat es vielleicht einmal gegeben, existiert aber nicht mehr, nur noch als befristeter Kompromiss. Die Tragik speist sich aus den Versündigungen des vorangegangenen Lebens. Egal, was die handelnden Figuren jetzt noch tun und wie sehr sie sich auch bemühen, der Hoffnungsschimmer ist reine Illusion und verschleiert die wahren Tatsachen auch nur deswegen, weil Jeder sein eigenes Päckchen Schicksal trägt und die Gesellschaft längst aufgehört hat, Miteinander statt Gegeneinander zu arbeiten. Nur für den Zuschauer ist der Sachverhalt von vornherein eindeutig, der pragmatische Zusammenhang der Teil-Episoden einsehbar und auch in seiner fatalen Gesamtwirkung spürbar. Eine Parallelkonstellation mit ungesundem Realitätsbezug, in der Jeder um sein eigenes Überleben strampelt, aber Alle zusammen der Verrohung der Triebe ausgesetzt und damit auch dem Untergang geweiht sind:

Neil Shek [ Jordan Chan ] ist nach einer achtjährigen Gefängnisstrafe seit wenigen Tagen wieder an der frischen Luft, wo er sich mit Freund und Zellenkumpan Faye [ Timmy Hung ] an einer eigenständigen Renovierungsfirma versucht. Doch kaum in Freiheit holt ihn die Vergangenheit wieder ein; nicht nur, dass sich sein ehemaliger Boss Uncle Bo [ Wong Tin Lam ] erneut an ihn heranpirscht und ihm gefährdetes Territorium anvertrauen möchte, auch die direkte Konkurrenz Johnny [ Ricky Chan ] setzt dem anständig werden Wollenden heftig zu. Die Polizei ist keine Hilfe, vielmehr wartet Inspector Cheung [ Chan Hung Lit ] nur einsatzbereit auf die nächste Straftat von Neil. Mit Leidensgenosse Bull [ Kenny Wong ] schmiedet dieser an die Wand gedrängt seine Waffen.

Letzte Verzweiflungstaten, aus Motiven der Selbstverteidigung, der Selbstrechtfertigung und des aufgestauten Frustes. Die Aussichten in das innere Geschehen, in Gesinnung und Charakter vollziehen sich dabei über eine wesenhafte Wechselrede, die den Antrieb, die Bewegung, den Vorgang und die Rückwirkung nicht einmal explizit bei der Zentralfigur Neil, sondern den ihn umgebenden Menschen aufzeigt. Die Begleitumstände sind entscheidend, ebenso wie das Hauptaugenmerk zuweilen minutiöser Beobachtungen weder auf den Anfängen noch dem Abschluss, sondern auf der Darstellung der Verlaufs, dem Handeln und dem Leiden liegt. Viele Perspektiven ergeben trotz sprunghafter Inkonsequenz und Verzögerungstaktik irgendwann das ganze Bild einer ruhelosen Existenz.

Das Drehbuch und seine Auswirkungen sind dabei im besten Fall gängig, wenn nicht sogar generisch, ohne originelle oder unerwartete Lösungen. Auch hier ist die Phantasie offenkundig nicht reicher als das Leben. Spiel und Gegenspiel, Deutlichkeit und Diskretion finden auf einer kleinen Bühne ab, die titelgebende Hong Kong Bronx als einheitliche Plattform mit markanten Ecken, die jedesmal die Begrenzung der Arena und auch die Schranken des Daseins darstellen. Neil pendelt im Wesentlichen zwischen seiner Wohnung, der Schule, in die er seine beiden jüngeren Schwestern bringt, der Nachtbar von Rivale Johnny; im späteren Verlauf kommt noch das lokale Krankenhaus der damit erschöpfenden Reflexion hinzu. Ein lautloses Akzeptieren aller Probleme, ein nüchterner Ansatz ohne Schwer- und Wehmut, der sich wie seine Figuren fern epischer Haltung oder lyrischer Dynamik eher an der unteren Stelle der Hierarchie, am falschen Ende der Fahnenstange, an der Grenze des Niedriglohns beschäftigt und trotz derselben Rituale damit im konkreten Gegensatz zum Machtgefüge des Election Zweiteilers befindet.

Demgemäß ist auch die digital video Optik dem Anschein nach sehr einfach gehalten, ohne ästhetische Würde oder schöpferische Atmosphäre, ähnlich einen Fernsehdrama formaler Strenge, oder gar dem subsumierenden Zusammenschnitt einer noch preiswerteren Seifenoper gleich. Eine unkonventionelle Natürlichkeitsimagination. Die Schauplätze sind offensichtlich vor Ort gewählt und oft wie in einer Art frustriertem Protokoll gefilmt, mit banalem Niveau, unempfänglich steril und lebensfeindlich unwohnlich bebildert, ohne Schönheit, Zauber oder andere Reize; noch nicht einmal dem der Variation.

Eine zweifelhafte, klinisch tot wirkende Einheit aus fiktiven und semidokumentarisch wirkenden Elementen, zwischen Beschränktheit und Virtuosität, Aneignung und Distanzierung, Authentizität und Inszenierung, Hartnäckigkeit und Willkürlichkeit, die ihre isolierte Kraft abseits einiger überlappender Montagen nur aus dem Schauspiel beziehen kann und selbst dort höchst selten auf Mehrdimensionalität und Einfühlung trifft. Im verfremdet romantisierenden Finale dann plötzlich ein unorthodoxer Bruch: Verselbständigt sich die eigentümliche Künstlichkeit erzwungener Abstraktion in einen mythischen Rausch aus Manga und artifizieller, sichtlich computergestützter Gewalt, werden blindwütig Gliedmaßen abgehackt, Gläser ins Auge getrieben und monströs aufgeblähte Ströme von Blut durch die nächtlichen Straßen geschwemmt. Selbst der Mond färbt sich in poetischer Ausdrucksweise glutrot.
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Review: CJ7 [ 31/01/2008 ]

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Nicht, dass es sich nicht bereits in den letzten Arbeiten, spätestens seit King of Comedy [ 1999 ] angedeutet hat, aber es verwunderte doch etwas, dass Stephen Chow die Symbiose vom Traurigen Clown und seinen Rückzug in den Hintergrund derart konsequent durchziehen würde. CJ7, sein aktuellstes Werk, startete zwar erneut wie so Vieles von Ihm pünktlich zum Chinesischen Neujahr, ist aber alles Andere als die gewohnt eskapistische Jubel-Trubel-Heiterkeit, bewegt sich auch an ein neues, jüngeres Zielpublikum heran und wird für Einige aus den alten Tagen, die sich dennoch an den Film wagen ein derart waidwundes Erlebnis sein, dass allein die proklamierte Rückkehr zum gängig Bekannten vorübergehend trösten mag. Entweder der Zugriff auf bereits Fertiggestelltes und noch Ungesichtetes, auf einen der Jahrgänge, die zeitweise mit jeweils bis zu zehn Werken von Chow aufwarten ließen, oder die versprochene Fortsetzung zu Kung Fu Hustle [ 2004 ]; obwohl beim Letzteren fraglich sein wird, wie man das dortige Ereignis noch im Ausmaß übertreffen kann und ob man eine Steigerung des offensiven Spektakels überhaupt sehen möchte.

Bis dahin kann es sowieso noch eine Weile dauern, Chow genießt seine jetzige Stellung und die damit einhergehende Ruhe als weiterhin unangefochtener Kassenmagnet Nummer Eins, die durch den internationalen Durchbruch um die Jahrtausendwende nur noch verstärkt wurde und ihm inklusive der jeweiligen Regie auch nahezu uneingeschränkte Verantwortung für die Projekte ermöglichte. Für HK Verhältnisse übersorgfältig minutiös wird die Planung, Durchführung und Nachproduktion in Augenschein genommen; bereits August 2006 begannen die Vorbereitungen für den damalig noch Yangtze River 7, dann A Hope Betitelten, der seine Inspiration von der Mission "Shenzhou 6", dem zweiten bemannten Weltraumflug der Volksrepublik China erhalten haben sollte.

Und auch hier sind die Spezialeffekte zahlreich, drängen sich bis auf einige Einzelszenen, deren genaue Aufarbeitung in allen Bestandteilen man zuweilen gar nicht benötigt hätte, aber überhaupt nicht in die Schlagzeile – der in der Hinsicht größenwahnsinnigste und auch albernste Akt entpuppt sich im Nachhinein als Traum – , sondern lassen den Sinnesarten der vorkommenden Personen allen Platz. Auch ist der Film nicht per se der Science fiction zugeordnet, wie vor allem zu Beginn der Entwicklung als Gerücht durch die Medien geisternd und auch heute noch weiland propagiert, sondern eine fantasievolle Familienkomödie mit manipulativen Niedlichkeitsbonus, mit behutsamen, aber auch engherzigem Dramaeinschlag und düster bestimmten Unterton.

Chow weiß hier ganz genau, wie er den Zuschauer in autonomer Motivation erreichen kann, wie und wann er die richtigen Dinge sagen und vor allem zeigen muss, um seine beabsichtigte Wirkung, die Stärken und die Schwächen des Menschen, die guten und die schlechten Seiten in Ihm zu porträtieren. Leider weiß er trotz anmutiger Gelassenheit ab und zu nicht, die Notbremse seines Reiz-Reaktions-Apparats zu ziehen und verhaspelt sich auch ein wenig in der Tonart; die wie in fehlgeleiteter Gesinnungsnötigung ohne Rücksicht auf Verluste oder Altersgruppe über lebhaft, lehrreich, schulmeisterlich, spießbürgerlich, leichtfüßig, verträumt, süß, bittersüß, schmerzlich herb und wieder zurück wandelt. Teilweise zugleich, teilweise in ebenso spröder Reihenfolge, die mit der einen Hand anlockt und mit der anderen abstösst. Die vielartigen Äußerungen der menschlichen Kräfte als Marionette des Schicksals, als Bauernopfer des Lebens, dass so einfach gestrickt und so kompliziert schwer doch ist.
Bezeichnend für den Gegensatz, für das Eine und Dasselbe, das Unendliche und das Unbedingte bereits die einleitende Montage:

Ti Chow [ Stephen Chow; nahe einer Altersrolle, auch wenn in dem wettergegerbten Mann mit den langsam ergrauten Haaren sichtlich mehr unbändige Energie als früher steckt ] lebt nach dem krankheitsbedingten Tod seiner Frau allein mit seinem Sohn Dicky [ die neunjährige Jiao Xu ] in einem abbruchreifen Haus inmitten einer Schutthalde. Während Ti an allem, auch am Essen spart und nur mit Mühe die gefährliche Arbeit als Bauarbeiter in luftiger Höhe absolviert, schafft er es dennoch, mit ebensolchen Anstrengungen und individuellem Trotz seinem Kind eine Privatschule zu finanzieren. Dort ist der Kleine zwar vollkommen fehl am Platze und fällt durch die notdürftig geflickte Kleidung und das verschlissene Schuhwerk schon von Weitem auf, dennoch hält Ti Bildung für das höchste Gut und möchte seinem Nachwuchs sein geführtes Leben am Rande der Existenz ersparen. Eines Abends, bei der alltäglichen Suche auf dem Müllplatz, findet Ti einen merkwürdig aussehenden grünen Ball, der sich über Nacht zu einem "space alien dog" verwandelt und zum ersten richtigen Spielzeug und eigentlich auch dem ersten Freund von Dicky wird. Doch dann passiert etwas Schlimmes.

Eine Fabel allegorischen Wesens in einer Parallelwelt, eine naiv gestaltete, aber nicht unschuldige Projektionsfläche, die sehr der unseren ähnelt und dennoch einschneidende Veränderungen, Übertreibungen und eine ambivalente Objektrealität aufweist. Ein märchenhaftes, ein vorsichtiges, aber zugleich entschlossenes Vorgehen, dass mit ganz großen Kulleraugen, sanften Humor, schadenfreudigem Schalk, aber auch Sarkasmus und Zynismus gerne verdrängen möchte, was das Leben an Leid bereit halten kann. Um es dann mit brüchigem Optimismus und elegischer Abgewandtheit umso direkter vor Augen zu führen, auch wenn es im Nachhinein dann doch mit einer zum Glück bloßen Erdichtung ins erfüllte Reine gebracht wird.

Und die Dramaturgie psychologisch überlegter Poesie sitzt. Schon durch die anfängliche Schwarzweißzeichnung, die seine simple Verabsolutierung im Aufbau durchgängig beibehält, aber etwaiges Vorurteil und Selbstbetrug mit eigener Karikatur und satirischen Spitzen, mit kritischer Artikulation und sozialer Identität anreichert und aus der Essentialität heraus erzählt. Eine intuitiv verständliche Sogwirkung von gemeinsamen Werten, um die Entwicklung der Charaktere auszudrücken. Man muss nicht selber Vater sein, um sich in die Situation versetzen zu können wie es wäre, seinem Kind gerade das Spielzeug nicht bieten zu können, gar verweigern zu müssen, was alle Anderen längst haben. Man muss auch nicht selber dem Drangsal durch Andere in der Schule ausgesetzt gewesen sein, um dieses "Mehrere gegen einen Einzelnen" ungerechnet zu finden und entsprechend auch zu Frohlocken, wenn dann doch noch Jemand Stärkeres zur Hilfe kommt.

Doch Chow löst die Klischees, die Passion, die anhängende Moralpredigt, die Verarbeitung von Enttäuschungen und den drohenden Zeigefinger, der sporadisch vermeintlich schön heftig in der Luft wackelt auch immer mit einem Lacher, sei es dem aus Gnade oder dem aus vollen Herzen heraus auf. Aber die Gefahr der Kanzelrede und dem Rutsch in Sentimentalität und Melancholie gerade aufgrund der nachvollziehbaren Erfahrungen schwebt doch immer drohend über dem Geschehen und verschafft den eher raren, wenn dann auch zündenden Witzen mehr den Eindruck eines katalysierend klärenden und lind motivierenden Ventils.

Als Triebfeder der tragikomischen Seelenmassage dient auch der "space alien dog", eine Eigenkreation aus eben Hündchen und etwas, dass sowohl an ein Meerschweinchen, ein Wellensittich mit überdimensionalen Filzkopf als auch an jedes andere ridiculously cute Haustier erinnert und sich auch so aufgedreht tapsig verhält. Ein E.T., hinsichtlich der prompten Festlegung der Sympathien und des Marketingclous, aber weder den gleichen Zeitgeist treffend noch derlei Interpretationen über Gesellschaft und Nation oder gar die christliche Erlösersymbolik zulassend oder sonst wie heraufbeschwörend. Wenn es überhaupt Richtung Spielberg gehen sollte – ein Vergleich, der hierfür oft gebraucht, sicherlich auch begrifflich, aber dennoch nicht haltbar ist – , ist Das Wunder in der 8. Straße schon näher am Gleichnis.
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