Montag, 31. Dezember 2007

Review: Boxer's Omen [ 29/10/1983 ]

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Nichts bereitet Einen wirklich adäquat auf das entheogene Seherlebnis Boxer's Omen vor, ein Nervenkitzel im Vollrausch mit zwanghaft diktierter Leidenschaft für Provokation und Zumutung. Eine cineastische Herausforderung, die weder durch vorheriges Lesen von Beschreibung und aufzählenden Kommentaren, das Wissen um Kuei Chi-hungs staunenswerten Drang nach Grenzüberschreitung im ausschweifenden Taumel noch die Kenntnis seiner bisher veranstalteten Filmography glaubhaft vermittelt werden kann. Auch wenn bei Letzterem in makaber-farcenhaften Arbeiten wie Killer Snakes, Corpse Mania und Bewitched auch die eine oder andere Eskapade erlaubt und so sicherlich bereits klare Ansagen bezüglich des etwaig kommenden Gustos gemacht wurde. Bewitched sogar eine Art chill-and-thrill Prequel zu der hiesigen, geradezu obsessionellen Besudelung darstellt und in formulierter Raffung auch den Auslöser des vorliegenden Schwarzen Zauberspiel im psychedelisch getönten Märchengewand darstellt.

Wo dort das Böse besiegt und besiegelt wurde, steht es hier wieder auf, mit vereinten Kräften wird die Rache in Schandtat vollzogen und der ewige Kampf erneut vorgeführt. Anlass für Regisseur Kuei, im Jahre des Exzesses 1983 noch einmal und auch wie fast als Abschluss seiner Karriere in die Selbstherrlichkeit gnadenloser Lauterkeit zu verfallen, auf die objektive Abwägung zugunsten des Herausarbeitens wirksamer esoterischer Effekte und selbstzweckhafter Groteskheit zu verzichten und die Schattenexistenz unheilvoller Illusionen hervorbrechen zu lassen. Ein irrationales, aber dafür konsequent radikales AufdieSpitzetreiben zum krönenden Finale, ohne dieser Gedärm-Orgie einen kalkulierbaren Seriencharakter zu verleihen. Ein Uberwältigenkönnen mit Hilfe von Entrückung, Magie, der Sinnenfreude und des -schmerzes, der Neugier statt der Emotionalität. Eine Verbeugung vor der Einbildungskraft vorzüglicher Lebhaftigkeit, die von Tageslicht ausgesperrt ihre liebste Zuflucht in der greulichen Dunkelkammer ganz hinten im Gehirn findet. Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen:

Triadenhäuptling Chan Hung [ Philip Ko ] hat nicht nur Ärger mit konkurrierenden Festlandchinesen, sondern eben auch mit ansehen müssen, wie sein Bruder Chan Wai [ Johnny Wang ] vom gegnerischen Boxer Ba Bo [ Bolo Yeung ] hinterrücks in einem kickfight event in den Rollstuhl niedergeknüppelt wurde. Um es dem feigen Angreifer heimzuzahlen, geht er nach Thailand und fordert den vermeintlichen Sieger zur Revanche heraus. Doch auf dem Auslandstrip stößt er vermittels Abt Qing Zhao [ Elvis Tsui ] noch auf ganz andere Gefahren, ausgelöst durch Master Jing Chao [ Lam Hiu Yin ], deren Bekämpfung ihn nach Nepal, dem Dach der Welt führen.

Bis der Götzendienst soweit ist, hält wieder Thailand in all seiner fremdländischen, erneut rustikal-provinziellen [Alb]Traumexotik für den Einbruch des Grausens in die einstmals harmlose Realität her. Ein Widerspiegeln elementarer Ängste der Zeit findet nie statt, vielmehr zeichnet die Abwesenheit der vermeintlichen Zivilisation samt ihrer Sitte, Anstand und Regeln das Geschehen nach dem Eintritt in die Aura der Mystik aus. Statt der möglichen Ausarbeitung des dräuenden Bandenkrieges oder der Konzentration auf den Karate Tiger 3 Plot samt Sex galore Einheit wird alles Vorhandene an Storyoptionen schnell fallen gelassen, was der beizeitigen Labilität und Perspektivlosigkeit dient. Eine Reise von geistiger Gesundheit zum entmachtenden Wahnsinn, von eindeutig greifbarer Bedrohung zum beispiellosen und maßlosen Übel, vom Hier und Jetzt ins Twilight Zone Nirgendwo von Halbdunkel, Umriss und Schattierungen. Ein plötzlicher Überfall der erstarrten Fassungslosigkeit, die mit bestürztem Befremden alles bisher Angenommene um 180° dreht und so Beteiligten und Beobachter den Boden sicherer Erfahrungen einfach wegzieht. Erst Prüfung des Verstandes, dann ein tiefer Fall ins Ungewisse, mit täglich wachsendem Entsetzen, in der der Horror schon und eigentlich auch nur aus der reinen Irritation entsteht. Das Sehen und Erleben einer torsohaften Abfolge von Abscheu, Phobie und auch Panik auslösenden Szenen, die in geradezu pfarramtlich salbungsvoller Umgebung buddhistischer Tempel angesiedelt sind.

Ein Blutegelbad. Das Wiederbeleben von konservierten Wasserleichen, die man im Magen eines frisch getöteten Krokodils aufbettet. Das nächtliche Hinauswürgen eines Schlangenaals. Das Verköstigen mit eigenem Wiedergekäutem und fremden Erbrochenem. Maden, die aus Augenhöhlen gekrochen kommen. Das versuchte Erdrosseln mit frisch abgerissenen Halssträngen.

Fern von Benehmen, Betragen und Geschmack oder auch einer zeitlichen und kulturellen Achse wird eine weitgehend lose Aneinanderreihung anfangs durchaus amüsanter, schon durch ihre kitschig-bunte Absurdität auch lächerlicher, aber bald schlichtweg abstoßender gross out Akte voll Unstern und Marter dargeboten, die auch zumeist die so genannten Eckpfeiler der Angst, der Lust und der Komik vollkommen vernachlässigen. Und jede metaphorische Signifikanz als auch die Ambivalenz missachten, da man von derlei nomadischem Geschehen nicht mehr angezogen, auch nicht abgestumpft, sondern trotz all dem Erstaunen oft nur noch angewidert wird. Der Verzicht auf die Erlösung durch schützende Genrekonvention, einer narrativ vorhersehbaren Schablone oder auch einer Identifikation mit den handelnden Figuren sowie die Beklemmung und Bestürzung der lokalen Notorischen Weltangst tun ihr Übriges. Allerdings muss man attestieren, dass nicht wie heutzutage üblich eine reine torture session abgeliefert wird, sondern Inszenierung samt Überreste von gebrauchter und missbrauchter Dramaturgie trotz aller abscheuerregenden Unappetitlichkeit immer noch in Vordergrund stehen. Auch eine künstlerische Qualität beanspruchen, und Kamera / Musik / Schnitt entsprechend dem offenkundig gut genutzten Produktionsvolumen erstaunlich tadellos sind.

Sicherlich kann man das folgende Spektakel in der Ablehnung des Normalen auch zwischen den Blut-und-Eingeweidestücken des Théâtre du Grand Guignol, dem Zirkusshow-Schaustellerstil eines Alejandro Jodorowsky und dem paradoxen Fanal Ein andalusischer Hund setzen, sich den Zusammenhang zwischen all den Bildern zusammen dichten und auch auf verschiedene Deutungsebenen begeben. Höchstwahrscheinlich wollte Kuei abseits jeder moralischen Forderungen, der abermalig pastoralen Einführung in buddhistisches Philosophieren und der Handlungsmotivation durch Schöpfung, Tod und Wiedergeburt/Auferstehung wiederum nur die Sensationslüste und Spekulationsgier in die Abgründe der eigenen Seele führen. Der Zwang, in der visuellen Herausforderung ständig das Vorherige überbieten zu müssen führt zu einer kurios intensiven "Unterhaltungs"form mit oft surrealen, gleichzeitig naturalistischen und übernatürlichen Phänomenen, delirant umher irrend zwischen Abenteuer, Ahnenkult, Fantasy, Science fiction und Phantasmagorie.
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Review: Bewitched [ 11/09/1981 ]

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Es ist leider nicht bekannt, wie gut und fest Regisseur Kuei Chi-hung Anfang der Achtziger geschlafen hat, bevor er 1984 in die USA auswanderte und sich dort zur Ruhe setzte. Tatsache ist, dass der geneigte Zuschauer, sollte er sich denn seine letzten Arbeiten ohne Unterbrechung im Akkord ansehen, wohl viel von den Albträumen erahnen kann, die der durchaus kreative Geist gehabt haben muss. Trotz einiger Komödien noch nie bekannt dafür gewesen, sich der leichten Unterhaltung hinzugeben, war Kuei Mit-Initiator der plötzlich aufschwappenden Horrorwelle im Hongkong Kino als auch ihr diensteifrig rastloser Antreiber; immer zur Stelle, um das nächste Tabu, die nächste Grenzüberschreitung in Angriff zu nehmen. Leider entging dem Publikum in den letzten Jahren seiner Tätigkeit das spezielle Händchen für die tatkräftig pfundige Action; Kueis zweites Standbein wurde zugunsten von Wurmspeiereien, Pestbeulen, Giftbrühen und anderen Geschmacksverirrungen in ihresgleichen suchender Abscheulichkeit vernachlässigt. Ein Schicksalsschlag für Diejenigen, die die schnelle Attraktion bevorzugen und gleichzeitig ein Glücksfall für die gorehounds, die weder das Kino der Suggestion noch die Kunst der Andeutung suchen.

Auch Bewitched legt gut los: Ein Familienpicknick im Grünen hat nicht einmal die klitzekleinste Chance, so etwas wie Friedlichkeit und Idylle auch nur anzutäuschen, wird doch binnen weniger Sekunden die von Ameisen bedeckte Leiche eines kleines Mädchens gefunden. Der ermittelnde Inspector Bobby Wong King-sun [ Melvin Wong ] macht über einen Augenzeugen, einen Taxifahrer und die Schuluniform der Verstorbenen rasch den Täter ausfindig. Ihren eigenen Vater Stephen Lam Wai [ Ngaai Fei ], der sich auch geständig zeigt, dabei zwar jegliche Schuld ablehnt, trotz psychologischem Gutachten aber trotzdem zum Tod durch Erhängen verurteilt wird. Doch vorher erbittet er noch ein Gespräch mit seinem Gegenüber Wong, der die ganze Angelegenheit plötzlich mit anderen Augen sieht.

Was der Zuschauer abgebildet bekommt, lässt auch bei ihm gewissen Spielraum erweitern und bisher vorenthaltene Kenntnisse hinzufügen; abseits des blanken Kontextes im Film sogar. Vor allem aufgrund der baldig anschließenden Rücblende durch Stephens Erzählung, die seine Sicht der Ereignisse präsentiert, wird nicht nur die materielle Struktur späterer Exploiter vorweggenommen – nahezu grundsätzlich arbeiten fast alle Cat 3 Werke mit genau demselben Aufbau von narrativer Aufdeckung durch Befragung eines Polizisten – . Sondern auch das exakte zeitgenössische Gegenstück zum Vorschein geholt. Herman Yaus fahl leuchtender Gong Tau: An Oriental Black Magic [ 2007 ], der seit langer Zeit nicht nur der erste ernstzunehmende Vertreter aktuellen kantonesischen Horrors, mit handfester Konsistenz der inszenatorischen Repräsentation ist, sondern auch das Interface zur eigentlichen Hochphase der Gattung eben von 1974 - 1983 aufweist. Die Schnittstelle zwischen der Erneuerung und der Rückkehr. Allerdings lag der bisher als Inspiration angenommene Querverweis immer ein wenig auf dem zumindest im Originaltitel gleich lautenden Black Magic - Das Omen des Bösen [ 1975 ], dabei ist das vorliegende Werk viel dichter an der Quelle der erleuchtenden Anregung justiert.

Auch wenn sich die konkrete Beeinflussung bloß in der Eingebung der speziellen Ausgangsidee und dem grob skizzierten Setting samt der plastischen, nicht gleich parabolischen Übernahme einiger spezifischer Szenen niederschlägt, sind die Gemeinsamkeiten doch charakteristisch hervorstechend genug, um Leitgedanke, Grundgerüst und Phasengrenze nun doch unübersehbar zuordnen zu können:
Augenscheinlich evident vor allem die Episode des weltmännischen Stadtmenschen, der auf Urlaub in Thailand seinen Flirt mit einer Einheimischen zu weit treibt und der scheinbar harmlosen Mätresse das Gefühl der großen Liebe und ihrer Einzigartigkeit gibt. Um in heimischen Gefilden das "Aus den Augen, aus dem Sinn" Motto zu betreiben. Um prompt von der unerbittlichen Rache der Frau heimgesucht zu werden.
Auch ein nächtlicher Angriff aus dem Nichts auf einen Polizisten, der gerade seine Streife vollzieht, wurde nahezu im offenkundigen 1:1 illustriert; Bewitched als das intuitive Urbild der Vernetzung der vorhandenen Ressourcen, allerdings nicht das Idealbild.

Zu weit ist man entfernt von dem Test des Charakters im Dämmerzustand, der Schattenfamilie des gotisch poetischen Märchens, dem optischen Restlichtverstärker. Man weist keine konkrete Angriffsstrategie, keine pechschwarze Belagerung oder beunruhigende Rationalität auf, sondern bezieht sich viel auf das Hinterland der fremdländischen Exotik, der Andere Länder, Andere Sitten - Phantasie, dem überfarbenen Kontrast zwischen der urbanen Moderne und dem bäuerlichen Vorleben. Ein Gegensatzpaar, dass sich in einem seltsam buntschillernden Regenbogen voll Mythenmixturen zu sehr darauf konzentriert, seinen eigenen Impresario wie Albus Dumbledore auf Hogwarts zu zelebrieren statt die Wirklichkeit zu manipulieren oder die Angst direkt inmitten der Realität zu holen.

Zu sehr Abrakadabra-Trash, ausgelassen überdrehter Surrealismus, paradoxe erzieherische Fabel mit ethischer Lektüre – "Simultaneously, the moral of this story is to admonish people against casual sex and to be on guard against witchcraft." – statt der symphonischen Projektion dunkler Zweifel und Widersprüche. Stilistische Unterschiede, die sich im Verzicht der Ambivalenz formulieren. Abstriche nicht nur im direkten Vergleich, sondern auch bei abstrakter Betrachtung müssen besonders im Verhältnis der materiellen Substanz zur zeitlichen Ausdehnung gemacht werden. Abgesehen davon, dass Stephens Bericht ausschließlich als Alibi für ein rein touristisches Abklappern diverser lokaler Sehenswürdigkeiten von sowohl der Stadt Nanyang in der Provinz Henan als auch dem Badeort Pattaya und entsprechend neckischen Wasserspielen am Strand oder in der Badewanne herhalten muss. Und sich dort die pop Art - Dramaturgie bar dem Geheimnis der Frau an sich, dem Mysterium ihrer Erotik und der sexuellen Unterwerfung des männlichen Geschlechts fast selber den sprichwörtlichen Strick nehmen kann. Das Aufsuchen geographischer Attraktionen setzt sich unter leicht verändertem Anliegen bei fortführender Erkundung von Cop Bobby auch noch einmal von vorne fort. Eine rein oberflächliche Wiederholungsstrategie, die wohl dem ansässigen Reiseunternehmer als Wiedergutmachung für entgangenen Verdienstausfall das Geld in die Kasse spülen soll. Nach Konsum der sich im Anschluss vollziehenden Gräueltaten überlegt man sich nämlich mehrmals, ob man die nächste standard class Stadtrundfahrt nicht doch lieber ausfallen lassen sollte; die Vergeltung der geschassten Dorfschönheit überschlägt jede Verhältnismäßigkeit eines gebrochenen Herzens nämlich schon mit Schritt Nummer Eins.

Zwar wird auch der Sadomasotrip noch hinausgezögert und ein scheinbar ewig dauernder Fakirwettstreit zwischen Guter und Böser Magie eingeschnitten, der wie aus dem Handbuch für kleine Geisterbanner zitierend ein "Die Hexe und der Zauberer - Special Collection" abfeiert. Doch ab dem Vollzug des Fluchs, denn die Dame schon vorsichtshalber mit deadline über ihrem vermeintlichen Prinzen beschworen hat, befindet sich Regisseur Kuei samt seinen Gefolgsleuten von der Maske schlagartig in hartnäckiger Präsentierlaune. Groß in Mode ist erneut das Hantieren mit allerlei Maden, das Herumpanschen mit abartigem Sud aus Schweiß, Blut und Gedärm, unangenehm scheußlicher Entstellung von Körper und Gesicht und fratzenhaft grässlicher Vermummerei. Wobei man im Nachhinein nur dankbar sein kann, dass, auch wenn die Effekte durchaus ihren Zweck des eindringlichen Ekels erfüllen und mit Liebe und Einfallsreichtum hausgemacht, sie lange noch nicht auf der Höhe der Zeit und doch unmissverständlich als fake zu identifizieren sind.
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