Donnerstag, 6. Dezember 2007

Review: Rape and Die [ 11/03/1983 ]

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Unerfreulich und beschwerlich, wie ein stetiger Gang in die Abgründe des Lebens hinab, dessen Tageslicht der Hoffnung man schon lange verlassen hat, man die Hand vor Augen nicht mehr sieht und sich nur noch tastend durch die wolkenverhangene Ebenen oder gleich apathisch treibend in das nächste Unglück bewegen kann. Unwirtlich von Nebel und Kälte und Schmutz umhüllt, ein Ort, an dem eigentlich kein Aufenthalt ist, wie gerodetes Ödland, vollkommen brachliegend, unzugänglich, heruntergekommen, mit keiner oder nur geringer Überlebenschance. Ein versifftes Felsengebirge inmitten klimatischer Hölle, abstoßend unschön und überflüssig, feindsam, aggressiv und gewalttätig.
Eine Lokalität muffiger Kellerlöcher, in der alle Rücksichten auf Gesundheit, Sitten und selbst den gewöhnlichsten Anstand gänzlich vernachlässigt werden: Hong Kong 1983.

Ein Jahr zuvor begannen die joint venture Verhandlungen zwischen GB und China über die Rückgabe der Sonderverwaltungszone an das Mutterland. Patrick Tams Nomad sandte in seiner Behandlung realistischer Themen mit ungeschönter Direktheit bis hin zu abschreckender Brutalität eine Schockwelle durch die Filmindustrie; weitere new wave Arbeiten, die bevorzugt eine düstere, von beklemmenden Ahnungen erfüllte Tristesse mit rapide ansteigender Gewalt aufnotierten, mussten sich der Zensur beugen. Das aktuelle Horrorgenre entströmte in schnöder Regelmäßigkeit das Gift der Woche in den Kinos, während sich die Zukunft des Territoriums schwarz färbte und erste Auswanderungswellen nach sich zog.

Die beiden Autoren-Frischlinge Cheung Kwok Kuen und Kwok Wai Bing schrieben gemeinsam ihr erstes und einziges Drehbuch, dass mit dem reißerischen, Amok laufenden Titel Rape and Die schludrig von dem unbedeutenden Lee Wing Cheung verfilmt wurde, keinerlei Aufhebens an der Kasse machte und heutzutage vielleicht noch wegen eben dieser fälschlichen Lumpenproletariat-Aufmachung und zwei bekannteren Darstellern überhaupt ein Begriff ist.
Cheung war angehender Editor, Kwok Nebendarstellerin in no name adult Werken, mit stark nachlassender und mittlerweile schon pausierender Beschäftigung. Ihr kompensierendes Skript eine überladene Abfolge von unansehnlich, unästhetisch, uneleganten Situationen in wild fuchtelndem Soapaufriß; wie eine pamphletisierende, zur bloßen Abschreckung dienende Strafpredigt vom Obersten Seelenhirten der Region. Eine Akkumulation von Qual, Sklaverei, Brutalisierung, Unflätereien, moralischer Degradation und staatlicher Unwissenheit / Müßiggang, die dem Alternativtitel Born without Hope weitaus deutlicher entsprechen als dem heischenden Marketingkonstrukt. Welches allerdings als greuliche Zusammenfassung im Satzgliedkern auch seine Berechtigung findet:

Der heranwachsende, noch minderjährige Ah-Feng [ Chow Sau Lan ] bekommt eines Morgens auf dem Weg zur Schule von einer Fremden eine Reisetasche in die Hand gedrückt; nur Sekunden später nimmt sie ihr Ah-Chiang [ Ray Lui ] wieder ab. In der Tasche sind allerdings nicht die erhofften Juwelen, die er seinem Boss bringen sollte, sondern ein Neugeborenes. In dem Verdacht, seine Auftraggeber hereingelegt zu haben sucht er Ah-Feng auf, die in der Zwischenzeit von dem Freund Hung [ Ng Man Tat ] ihrer als Prostituierte anschaffenden Mutter [ Chen Pei Hsi ] vergewaltigt wurde. Ah-Feng flüchtet zu ihrem Vater [ Lau Dan ], der sich aber lieber in Hostessenbars aufhält, um Teenager aufzureißen.

Klingt übel, ist es auch.
Ein endloses, aussichtsloses, wahnsinniges Wühlen im Dreck, Verfall, Verwesung, wie eine zerfahrene Trauerrede, die vom Todeskandidaten selber gehalten wird. Aber kein analysierendes Positionspapier über den vermeintlich realistischen Zustand von besitzloser Armutei, mit einer Hinterfragung der Konfliktpotentiale oder einem propagandistischem Impuls, viemehr eine in seiner pessimistischen Simplizität beinahe einfältig wirkende Durchhalteshow, fern von jeder Differentziertheit, jeder Komplexität, einer Aussage und auch konstruktiven Kritik hinsichtlich der Agonie von wirtschaftlicher Krise und politischer Ohnmacht. Zwar weniger exploitativ ausgestattet als es die minderwertige Verkleidung vortäuschen möchte oder vortäuschen muss, aber auch als läuterndes Drama über Sozialhorror durch seine eigenen ineffizienten, uninspirierten Unruhen wahrlich nicht erfolgreich.
Die grell geschminkte Reise durch die erbärmlich kleinen, schmutzigen, augenscheinlich nie gereinigten Wohnungen mit kläglicher Ventilation und kargem Licht, die schier erdrückende Menge an maßlosen Tragödien, die entsprechend entkräftend-ermüdende UnDramaturgie führen zu einem überlastend aufbürdenden Geschehen, dass den Zuschauer nie fordernd im Appell ansprechen oder in die Garantenstellung setzen und so in Pflicht nehmen, sondern nur spröde vertreiben mag.

Keine dynamische Interpretation, kein Ausgangselement, keine Schwerpunkte der Deutung, kein wirkliches Zentrum der folgenden Betrachtungen, nur permanente eben noch niederträchtiger, noch unappetitlicher, noch abscheulicher entwickelnde Vorkommnisse ohne Belege oder Motivation. Die bei der Kindesaussetzung scheinbar erst anfangen und sich dann überstürzt, nicht mal wirklich engagiert, eher wie aus kasteiendem Zwang die ganze Spirale über Verlassen des maroden Schulsystems, Missbrauch, unfreiwillige Schwangerschaft, versuchte illegale Abtreibung, Hurerei, Raub, Drogen, Folter, Unfall mit Fahrerflucht, erneute Angriffe, Geisteskrankheit, Mord ins hässlich feuchte Elendsgrab hinunter quälen.
Alles ist immer klar und eindeutig mies, ohne Ruhe für die genauere oder gar einfühlende Beobachtung und der Geduld für Details. Es gibt nie etwas Anderes, dass einen neuen Aspekt eröffnet.
Böse denken heißt böse machen.

Was bei anderen Regisseuren wie Tam oder weiteren zeitgleichen urbanen Vertretern der Zunft wie Nam Nai Chois Brothers from the Walled City oder Clarence Fords On the Wrong Track noch mit Feinheiten, Anspielungen von moralischem Interesse oder wenigstens der Skizze eines großen Erzählbogens mit Repulsion und Attraktion verziert. Und so die Anteilnahme nicht über die ewige Betonung der Authentizität, allerdings mit inszenatorischen Mitteln auch zuweilen von Vergnügen und Ergötzen erreicht wurde, findet man hier nur ein spannungsloses, da nach wenigen Einheiten absehbar phlegmatisches Schinden und über Gebühr Beanspruchen vor. Ein rückständiges Schockieren um des sturen Prinzips willen, in dem das Entlegenste noch ganz selbstverständlich sein soll, nach pünktlichen Minutentakt, der keinerlei Zeit zum entspannend Aufatmen oder auch mal frohlockend Hoffen gibt und auch sonst kein Zutritt zu Charakteren und Identifikation gewährt. Nie ist ein Bestreben seitens der Regie oder ihrer Figuren vorhanden, in diesem kümmerlichen Jammer so etwas wie eine ordnende Kraft herzustellen. Ein ungeschicktes, durch die alleinig repetierende Wiederholung und der bald nutzlos verhallenden Über-Drastik auch nichts sagend geschichtsloses Etwas mit degenerierenden Sog, dass zwar die Weisheit im Schmerz sucht, aber die Erhellung dieser Aspekte vollkommen außen vor lässt. Und sich mit aufgesetztem Nihilismus stetig verschlossen wie ein zugeschütteter Schwefelschacht verhält; ohne dem Zuschauer auch nur den Hauch der Chance einer Stellungsnahme zu geben.

Während Tam abstrakte Verkörperungen seiner philosophischen Reflexion auf Nietzsches "Die fröhliche Wissenschaft" mit Ironie, Sarkasmus und dem Bizarren artikulierte und sich trotz allem Aufruhr der Zeit ernsthaft bemühte, einen Sinn des Lebens zu suchen und das menschliche Potential erkunden und fördern wollte, werden hier schon grundlegende Bedingungen des zwischenmenschlichen Umgangs negiert.
Wenn die Umgebung für niedere Wesen am günstigsten gestaltet sei, folgt laut ebenfalls Nietsche daraus, dass niedere Wesen am ehesten überlebten. Er wünschte sich eine härtere Gegenwart für die menschliche Gesellschaft. Die bekommt er hier, der Ansatz unter diesem Unhold ist vielleicht ambitionierter Natur, mit einer womöglich bewusst formulierten Rohheit der szenischen Zersetzung. Aber man zeigt keine Demontage, weist keinen Prozess, keine Reife, keine Entfaltung oder Vertiefung auf und verläuft sich planlos in seinem eigenen verwilderten Notstandsrevier verkrusteter Strukturen.
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Review: Story of Kennedy Town [ 16/11/1990 ]

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Bis Heute rufsteigernd als Art umgestaltend wandelnder Nachzügler zu Bullet in the Head propagiert, dessen Prinzip der Freundschaft hierbei sicherlich ebenso vorkommt wie das Dreieck der Figurenkonstellation, hat Story of Kennedy Town weniger Anklänge an Woos persönlicher Mission zu bieten als das er vielmehr eine weitere Aufarbeitung der Marksteine des Heroic Bloodshed Genres ist. Ein erneutes, diesmal zufällig zeitlich nah und vom Ausgangspunkt her schon ähnlich gehaltenes Projekt mit Anspruch auf narrativer Ausbeutung moralischer Fundamente. Dass allerdings trotz auch überschneidender Besetzung nicht übermächtig auf seinen ja nun inoffiziellen Vorgänger schielt, mit eben diesen Vorgaben seine eigenen konsequente Wege mit diesbezüglichen Dominanten und Leitmotiven geht und sich in all der Masse selber Thematik gar noch als überdurchschnittlich eigenständig behaupten kann. Das gewählte Genre durch Überflusserscheinungen mit identischer Quintessenz und Resümee mal nicht als pure Auftragsarbeit im Abklappern des üblichen A und O, sondern durchaus mit Sinn auch für die Bedeutung von Gemeinschaft und Kameradschaft.

Dass diese Bindungen hier nicht nur behauptet werden, um darüber hinaus den Schwelbrand und Feuerstoß der traditionellen Shootouts abfackeln zu können, hebt Wu Mas 46igste Regietätigkeit in zwanzig Jahren dann auch aus den Hundertschaften seiner Artkollegen hervor; die seit jeher die gewisse Verpflichtung haben, den Forderungen und Kenntnissen des Publikums zu entsprechen und in Spitzenbelastungszeiten oft mit rein höflicher Konformität auch nur dies Mindestmaß erfüllten. Zumindest der nass forsche Blick über dem üblichen Gros darf hier gewährt sein, auch wenn man sicherlich keinerlei Favouritenlisten erklimmen wird. Dazu ist die Behandlung ohne der gutheißenden Eigenschaft von inniger Herzensangelegenheit, sinnsuchender Selbstverwirklichung oder dem Effekt eines wahren Glaubenssystems wiederum zu vertraut, zu absehbar und durch einen einleitenden Epilog auch noch zu erregungsarm hinsichtlich des Ausgangs. Denn eigentlich wird in wenigen Sekunden gleich zu Beginn nicht nur bereits das Ende vorweggenommen, sondern die Geschichte prompt vollständig erzählt:

Die drei Taugenichtse Chuang Peng [ Waise Lee ], Kao Tieng Chiang [ Mark Cheng ] und Li Shao Wei [ Aaron Kwok ] schlagen sich den 60ern mehr schlecht als recht durchs Leben, ernähren sich mühsam von Taschendiebstählen und kleineren Handlangertätigkeiten und haben es dabei noch ständig mit der zahlenmäßig weit überlegenen Gang von Brother Ying und mob loan shark Chuan [ Tai Bo ] zu tun. Als Ihnen Detective Sergeant Huang [ Wu Ma ] eines Tages aus der Patsche der Unterzahl heraus hilft, erweckt es bei den Dreien kurzzeitig eine neue Hoffnung. Den Test für die Polizeiakademie besteht aber nur Chuang Peng, der an der Seite seines neuen Partners Uncle Chua [ Bill Tung ] auch bald lernt, das Handaufhalten und Wegschauen einträglicher ist als stupider by-the-book Streifendienst.

Analog dazu ist auch die materielle Beschreibung ein Schutz- und Trutzbündnis, dass über weite Strecken durch betriebsames Zielbewusstsein statt analysierenden Monologen oder Dialogen die ganze Kraft von nüchterner Verführung mit pragmatischer Überzeugung entfaltet. Ein präzise verkürztes, ökonomisches, trotz Glamour auffallend unspektakuläres Epos mit aufwendig anmutendem Lokalkolorit in stark gesättigter, massiv eichener Brauntöne als Summe aller möglichen Farbbeziehungen. Ein schwungvoll schaffensfreudiges Vorgehen über das verblasste Ideal vergangener Jahrhunderte, dessen Ehr- und Anstandsmaßstäbe sich in der Gegenwart gewaltig verschoben haben und alte Rituale mit Neid und Missgunst füllt; mit sicherer Finanzierung von Golden Harvest / Golden Way Films gestützt und durch leicht erfassbare und tatkräftig zupackende Akteure gewürzt.

Die größte Schwachstelle, hinsichtlich der Vertrautheit, die hier nicht mal mehr das seltsame Gefühl des Déjà-vu auslösen kann, weil bereits Sämtliches an Handlung von vornherein auf dem Tisch liegt, ist dann auch gleich die Stärke der routinierten Inszenierung. Denn dadurch, dass der Regisseur auch um die bekannten Prämissen weiß und sich bewusst ist, dass er rein gar nichts mehr über dem Effekt der Überraschung erreichen kann, konzentriert er sich eben nicht auf die eventuelle, hier nicht vorhandene Kreativität des Skripts. Kontert auch nicht mit pathetischem Fatalismus und galamäßigen Reflexen, sondern bezieht sich auf die aktive Teilnahme, das Dateisein und Mitmachen des Zuschauers sowie streng bewahrter Rationalität, die bemerkenswert reibungslos und mit der Erkennung vom Besonderen im Alltäglichen her absolviert wird. Er lässt unsinnige Erläuterungen komplett fallen, kümmert sich auch nicht weiter um vorhandene Zeitsprünge und so entstandene mögliche Lücken, sondern stellt die Verbundenheit zum Geschehen im Film und zum Film allein mit einem sinnenfrohen Klang- und Aktionskontinuum her. Aussagekräftige Blickkontakte, ein musikalisch schmissiger Rahmen der legendären Rockgruppe Beyond und addierend losen merkwürdigen Tönen, ähnlich dem garstigem Fauchen eines Sousaphons, das mit einer Eisenstange malträtiert wird.

Da man sich hier strikt an einem Ort der chaotischen Großstadtanarchie festhält, keine politischen oder gesellschaftlichen Situationen durch schreitet und auch keine exakt notierte historische Chronologie abgeht, ist die Möglichkeit einer variierten und kontrapunktierten Aufgliederung des Prüfsystems der Freundschaft an mehreren wesentlichen Erprobungen mit ideologischem Hintergrund nicht möglich. Keine Erinnerungen an das furchtbare Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens und auch kein Vietnamkrieg, dessen Gräuel zusammen mit der plötzlichen Goldgier als lockenden Ausweg beim Protestanten Woo letztlich doch zum Bruch der steten Gemeinsamkeit seit Kindheitstagen führen. Zwar winkt auch hier der Reichtum für den die Loyalität verratenden Aussteiger, handelt es sich aber nur um besseres Taschengeld und muss dafür auch allerhand Risiko eingegangen werden; eine gedankliche Möglichkeit, die als Zusatz in der Erzählführung dazu genutzt wird, sich nebenher ein wenig mit der Korruption innerhalb der Hongkonger Polizei und der Gründung der ICAC zu beschäftigen. [Die Schilderung bezieht sich einzig auf die polizeiliche Aufgabe der Strafvermeidung und -verfolgung, während in Bullet in the Head ausdrücklicher auf das Archiv der Repression hinsichtlich der politischen Unterdrückung / Verfolgung von Gruppen wegen ihrer Beweggründe eingegangen wird.]

Der entscheidende Grund für das Zerwürfnis ist neben den unterschiedlich entwickelnden Interessen und damit auch dem Auswandern in verschiedene Berufsschichten, die sich als cops vs robbers stichhaltig notgedrungen gegenüber stehen vor allem auch die Liebe zu einer Frau: Li [ Sharla Cheung Man ], die als primärer Beziehungsträger gleich von Mehreren im Dreieck begehrend umworben wird, das natürliche Konkurrenzdenken fördert und die Kippentscheidung zwischen rigorosen Individualismus und dem unbedingten Einstehen für den Anderen heraufbeschwört.
Völlig konträr zu Männerregisseur Woo, der wie sein Lehrmeister Chang Cheh mit idealisierten Vorstellungen davon überzeugt war, dass nicht einmal der Tod die Grenze für ein ehrlich verschweißtes Männerbündnis sein kann und keinerlei Spuren von Gefahr, Misstrauen oder Bedrohung zwischen den Blood Brothers aufkommen ließ, schon gar nicht von einer weiblichen Person ausgehend.
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