Mittwoch, 14. November 2007

Review: Fury [ 16/01/1988 ]

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Keine entmumifizierte Wiederentdeckung wie bei Johnny Wangs Angry Ranger oder Innocent Interloper, die im Staub der Dunkelkammer liegend immerhin noch schwärmerische Verheißungen, Ehrenbezeugungen und andere ruhmesstiftende Beteuerungen mit sich trugen. Sondern eine komplette Neuausgrabung, die all die Jahre seit der Entstehungszeit ohne jedweden Ruf, ja fast sogar ohne Kenntnis von dem Vorhandensein vor sich hindarbte und nun schlussendlich zwei Dekaden nach der Produktion auch mal das Licht von Auslobung und Handschlag sichten darf. Fury heißt das Werk, dass so heimlich als schlichtweg ignorierter Irrläufer dümpelte, trotz durchaus aussichtsreicher Besetzung, erfolgversprechender Finanzierung und eben auch Wangs allseits beliebter Regie ohne Sirenengesänge im Nirvana der Irrelevanz verschwand.

Der Grund dafür scheint eindeutig zu sein. Diesmal nicht in der unzureichenden Qualität und dem folgerechten Wegsperren gefunden. Vielmehr in der schieren Tatsache, dass nicht nur das ausführende D & B Films Studio schon seit Ewigkeiten nicht mehr existiert, sondern der Film auch gerade zu dem Zeitpunkt erschien, als der Markt von Myriaden identischer Arbeiten geradezu ausgespült wurde. Eine flächendeckende Flutwelle an Heroic Bloodshed Werken, die sich in kollektiver Wahnvorstellung die heiße Phase nach A Better Tomorrow zu nutzen machten, um das dort noch vorhandene Bedürfnis des angefixten Publikums zu bedienen. Und zu diesem Zweck mit den möglichst gleichen Darstellern die analoge Geschichte in selbiger Ausführung, aber ohne tiefer Inbrunst aus dem Herzen heraus erneut zu erzählen.

Auch das vorliegende Fabrikat erweckt eindeutige Anmahnungen an Thematik und Behandlung, benutzt den dramatischen Aufbau von Erinnerung, Verantwortung, Chance und Hoffnung, und streut die Denkzettel des psychisches Erlebens, der atmosphärischen Optik und der visuellen Reize nach identischem Schema ein. Straffe Kulturkontakte zwischen John Woos Original, dass sich selber emsig und mit völliger Gewissheit dem Einsatz von Hypertext und Hypermedia bedient, und seinen unzähligen Nachfolgern, die je nach Güteklasse mal würdige Inspirationen, vorteilhafte Variationen oder mit Hohn und Spott quittierte Kopien darstellen. Und dabei immer gemeinsam haben, dass Keiner der Neueren obwohl zuweilen reizender Formschönheit weder die hohe Pathoskraft noch den Grad der klassischen Vollkommenheit des Vorbildes erreicht:

Thailand, 1982.
Lucky, Schimpfname "Portuguese Tsan" [ Michael Wong ], Auyeung Chick [ Philip Chan ] und Chou Chi-to [ Waise Lee ] planen einen Falschgelddeal mit einer lokalen Gangstergröße, werden aber von Chous Cousin Chan Lau [ Richard Cheung ] an die Polizei verraten. Im Eifer des Gefechts wird Lucky festgenommen, auf der Flucht seine Frau Ngao [ Carrie Ng ] durch den Verräter getötet und Chick schwer verletzt. Als nach sechs Jahren der unwissende Lucky aus dem Gefängnis kommt und zurück nach Hongkong geht, begibt er sich ahnungslos in den Fänge von Chou Chi-to. Währenddessen planen der nunmehr gelähmte Chick sowie sein Sohn Shao Wen [ Bruce Maang ] die erbitterte Rache.

Aus Alt mach Neu, aus "Drei Freunde sollt ihr sein" die Feindschaft bis über den Tod hinaus. Aus dem rosigen Ausblick in die Zukunft, dem ganz großen Geld greifbar nah vor den Augen und dem innigen Männerbündnis werden Töne der Traurigkeit, des Schmerzes oder des Jammers. Das Zerbrechen an den Verlockungen der materiell orientierten Welt als primäres Konstruktionselement, das zusammen mit falscher Loyalität zur Familie eine eigentlich eng verschweißte Truppe auseinander reißt und Vertrauen in Misstrauen und Treue in Verrat umwandelt. Die Erleuchtung stets aus dem eigenen Leben gegriffen, im Film prosaisch bis hin zur griechischen Tragödie überhöht.
"Denn Brutus ist ein ehrenwerter Mann; das sind sie alle, alle ehrenwert."

Keine Handlung, die volle Anerkennung verdient, aber immerhin sein Tagewerk versteht.
So weiß Regisseur Wang die engen Vorgaben auch in der gruppentotemistisch beseelten Narration auszufüllen, bedient dort trotz Überlegung und Geschmack aber nur die Kenntnis und damit verbunden auch die gemäßigte Erwartung des Zuschauers und wagt sich nicht in die Abstraktion und Wandlung.

Eine Nachschrift mit Postskriptum-Verhalten, statt einem Monument mit Zwischenverzweigungen. Seite nach Seite. Vom Anfang bis zum Ende. Mit dem geringsten Risiko verbunden, dafür in einer höchst leidvollen Schreibart.
Eine von vornherein eingeschränkte Wiedergabe der scheinbar unvergänglichen, beharrenden, unwandelbaren Kräfte, die nach dem verbalen Trockentraining unaufhaltsam die Spirale der Gewalt hochtreiben. Die substantiellen Kernsätze werden beachtet, incl. der langsam, aber stetig steigernden Erregung, der nötigen Muße zum Nachdenken, der flammenden Schwüre, dem Anziehen der Fehden, der erneuten Aussagebekräftigung und final der blutüberströmten Auseinandersetzung. Ein vagabundierendes Intermezzo mit viel Ruhe vor dem Sturm, dass wie seine Artverwandten der regelrechten Massengeburt eigentlich keine Dialoge braucht, um das, was es ausdrücken möchte verständlich zu machen. Entscheidend sind vor allem Blicke und Gesten, die mit symbolischen Charakter die traditionell streng lineare Struktur vertikal durch Hintergrundinformationen ausbauen:

Entweder das verhalten-scheue, peinlich berührte und zuweilen auch sinnierende Wegschauen in den leeren Raum. Oder das fragend-ungewisse Anstarren, das Suchen nach der Wahrheit und das erschütterte Feststellen, dass nichts mehr von der Vergangenheit über ist und die Gegenwart alles zerstört hat. Vor Liebe krank, von Mitleid gerührt, von Trauer umflogt.
Sowie die Aktivposten der kriegerischen Märsche, die die sonstig vorhandene Schlafzimmermusik ablösen und plötzlich kostbare Augenblicke der Bewegung in den von vornherein festgefahrenen Handlungsprozess bringen. Denn der Sprung in die Selbstständigkeit über die Reflexion, die Korrektur und den Kontext hinaus wird hier wie so oft nur in den Actionszenen geschaffen, die in krosser Bestrebung geradezu eigene idealtypische Formen bilden. Die inkludierten Dateien versüssen rückwirkend auch die lange Wartezeit: Dankbar aufgenommene Unterbrechungen des rein soliden Schauspiels, in dem nahezu jeder Darsteller nur seine geschriebene Minimalfunktion ohne wirkliches Leben, Gedanken und Empfindung verkörpert. Willkommene Abwechslung von der Grundmaxime der langen Erläuterung, die trotz knappen Einstieg auch hier unnötigerweise leider zu ausführlich benutzt wird.

Kleinere Akrobatikeinlagen und zündende Lichtblitze in der stetig bläulichen Dunkelheit leiten die Arbeit von Choreograph und Stuntmen ein, wohl wissend, dass Shootouts und Konsorten in ihrem aggressiv aufbrausenden Ausdruck mitsamt der psychologischen Manipulation der eigentliche Zweck der Bloodshed-Kunst sind.
Grelles Blendwerk auf dunklem Firnisgrund. Direkte Statements von Jähzorn und Angriffslust. In seltener Anzahl, aber dann mit Übung und Fleiß umso effektiver gesteigert durch recht rabiate car crash cheats auch mit schweren Fuhrwerk wie Kipplaster und Gefängnistransporter, dem starken Bemühen um explosiven Feuerzauber, der leinwandverstärkten Fetischisierung aller zur Schau gestellten Waffenpräsenz. Und dem unerbittlichen Bodycount, der neben Schußopfern in grausamer Deutlichkeit auch einen höchst realistischen Auffahrunfall einbezieht, der die Grenzen zwischen vorbereitender Absicht und fahrlässiger Improvisation beim Dreh kurzzeitig aufhebt und schon beinah in Richtung snuff tangiert.
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