Samstag, 12. April 2008

Review: Yes, I can see Dead People [ 04/01/2008]

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Grau und leer ist das Gebäude, wie ein riesiger gusseiserner Sarkophag, eine aufgebahrte Totenlade, aus einem groben Stück Stein gemeißelt und in schockierendem Frost erstarrt. Ein Wohnblock nur dem Namen nach, der selbst mit beschäftigten, ein- und ausgehenden und innerhalb der Familie miteinander oder den Nachbarn gegenüber kommunizierenden Mietern schon ein trauriges Fleckchen Erde wäre. Aber nun, da kaum noch Jemand in der Gegend wohnt, Niemand zu Besuch kommt und die Polizei samt Leichenwagen fast öfters anwesend ist als die eigentlichen Anwohner nur noch ein heimatlos verwinkeltes Grab am Rande der Gesellschaft darstellt.

Warum überhaupt noch Jemand in dieser einbalsamierten Gruft haust, in dieser betrüblichen suizidgeschwängerten Einöde im Hinterland, die auch bei seltenem Tageslicht mehr an einen Maschinenraum im Keller als eine Wohnstätte erinnert und ähnlich feucht warmen Brodem absondert, ist sicherlich ein Rätsel. Allerdings nicht die Frage, die sich das Regiedebüt von David Lee Kwong-Yiu stellt. Die Logik, die Wissenschaft und der Fortschritt spielen keine Rolle, in Sachen Erklärung wird der Verzicht gepredigt, die Form steht im Vordergrund, die aktive Raumauflösung als angsteinflößendes Motiv. Weniger ist bei Farbgestaltung und Lichtsetzung ebenso mehr, wie die absolute Hingabe an eine Welt des Übernatürlichen verlangt wird und erforderlich ist. Der schiere Aberglaube steht im Mittelpunkt des Geschehens, ein robuster Zugriff des Bösen, ein auswegloser Kampf zwischen dem Okkultismus, dem Mystizismus, dem Spiritismus, der Besessenheit, dem Exorzismus, zwischen der Vorsehung und dem Schicksal, der Rettung und dem Verderben. Zwischen der menschlichen Seele gegen die beseelte Natur. Grusel im klassischen Sinn, neu aufbereitet.

Das Drehbuch als pechschwarze Karma-Soap mit stark begrenzten Personal und einer narrativen Prädestination, die den eigentlichen Erstauftritt schnell und unvermeidlich in Richtung fatalistischer Endabsicht schiebt. Besonders das Setting kommt Einem mehr als bekannt vor; ist sicherlich möglich, dass es nicht exakt derselbe Dreh- und Angelpunkt wie bei sowohl Dating a Vampire [ 2006 ] als auch House of the Invisibles [ 2007 ] ist, aber das verschachtelte Häuserviertel trägt genau das entsprechend gleichartige Totenhemd. Ein ähnlich schwach bevölkerter Gebäudekomplex, nicht näher definiert, nur mit einer kränklich grünen Lichtquelle der Taschenlampe gespeist, mit den gleichen Materialisierungs- und Destabilisierungphänomenen heimgesucht und auch den identischen Bewusstseinsspaltungen versetzt.

Nun ist das kantonesische Kino besonders in Sachen Horror ein Meister der Selbstbeschränkung. Eine kleinmütig konservative post mortem - Show, für die das fortdauernde Zitieren und somit Repetieren ebendieser Eigenschaften für alle Ewigkeit eine unumstößliche Gültigkeit hat und so immer wieder die gleiche chronisch unterernährte Materie durchquert. Bahnbrechende Innovationen darf man von einem augenscheinlich recht kleinen, weitgehend mit unbekannten Namen ausstaffierten und mit wenig Aussicht auf Erfolg platzierten Produkt möglicherweise auch gar nicht erwarten:

Der junge, sich als Kellner mehr schlecht als recht durchs Leben schlagende und weitgehend in den Tag hineinschlurrende Wah Koon-nam [ Steven Cheung ] hat ein Problem. Er kann Tote sehen, mit ihren unruhigen Geistern kommunizieren. Nicht nur deswegen fällt es ihm schwer, sich in seiner eigenen Realität zurechtzufinden, oder wenigstens mit der hübschen Stewardess von Nebenan, Mei Chee [ Kathy Yuen ] ein Gespräch und Mehr zustande zu kriegen. Nams Bruder Tung [ Kris Gu Yu ] dagegen hat zwar eine florierende Beziehung mit der attraktiven Modeverkäuferin Charlie [ Mandy Chiang ], kehrt nach einem gemeinsamen Wochenendausflug allerdings schwer verstört zurück. Durch eine geheimnisvolle antike Dollarnote hat die schwarze Magie von ihm Besitz ergriffen und weitet ihren unheilvollen Sog rasch auf die nächste Umgebung aus. Während Nams Eltern [ Amy Chum und Sun Limin ] dem folgenden Verderb weitgehend ratlos gegenüberstehen, weiß der Hauswart Fuk [ Lau Kong ] umso mehr Bescheid.

Abgesehen davon, dass der hiesige Vertreter nicht nur seine beiden "Vorgänger" samt allgemein gültigem Handlungsgebot ohne weitere Probleme in die Tasche steckt, und auch sonst die letztjährig aktuellen Kollegen wie Haunted School oder Naraka 19 weitgehend mühelos auf die hinteren Plätze verschiebt – was anerkennenswert, aber auch so die Kunst nicht ist: Auch hier wird beizeiten deutlich, warum gerade die Trilogieform in diesem Genre so populär ist. Für eine diesbezüglich ratifizierte Troublesome Night Episode mit 30min Länge wäre das sinistre Ausgangsmaterial im Spiel mit Wissen und Erwartung vielleicht nicht gleich vorzüglich, aber mutmaßlich besser geeignet als für einen abendfüllenden Spielfilm. Zwar kann Neuling Lee mit einem schräg humoristischen bis zynischen Einschlag zu Beginn, einer korrespondierenden Portion Erschütterung, Erschrecken, Entsetzen, und einer wenigstens konsequent urwüchsigen, fast rustikalen Regie samt tatsächlich schöpferischen Bewusstsein aufwarten.

Anders als die Figuren im Film vermag man den Zuschauer selber allerdings bei weitem nicht in die unnahbare Sphäre des Anderen, des feindselig Nebulösen, des beklemmend Unerklärlichen einbeziehen und trotz intensiviertem Schauerambiente auch keine dämonische Indolenzzone von Wach und Traum und Verfall und Zerlegung formulieren. Der sich bemühende Schritt in die richtige Richtung von schleichendem Grauen samt der aufhebenden Distanz und latent vorhandenen Poesie bleibt in einer auf Dauer eintönig faden Halbdunkelwelt-Optik, dem üblich expressiven Sounddesign, einer bald ermüdenden Blitz-und-Donner Dramaturgie und ganz allgemein auch der gängigen Ikonographie des Genres hängen, ohne eine eigenständige Vision beschwören zu können. Es wäre gerne Dorm, ist aber trotz manch dezenten Zwischentönen nur ein monoton nebelwallender Kunstkosmos mit unbedeutender Tiefenpsychologie, schmalem Innenleben und dem Ausbleiben anderweitiger Subtilität.

Die wahrhaft gespenstische Aura speist sich in knappen Einzelmomenten aus ausgerechnet alten Erinnerungen; nicht aus dem Umherirren in möglichst abbruchreifen, leer gefegten, bis auf den Mondschein stockfinsteren Orten nahe Verrottung und Verwesung, sondern der kompositorisch geschickten Mahnung an alltäglich vorstellbaren Ereignissen. Da sich die Aufklärung bezüglich des Fluchs, seiner Ursächlichkeit und seiner Auswirkungen ein wenig verstockt verhält und man lange Zeit entweder immer nur dasselbe, aber nie wirklich etwas Genaueres erzählt, halten zwei unselige Vorkommnisse als Anhaltspunkte der aufgelösten Panik her. Der verheerende Amoklauf eines Geistig Behinderten in dem einstmals blühenden Milieu. Und ein fürchterlicher Busunfall, der fast einer gesamten Grundschulklasse das Leben gekostet hat. Hier vollzieht sich nicht der Übertritt von der realen Welt in die phantastische als Schock, sondern umgekehrt, im Aufbrechen verdrängter Erfahrungen und der direkten, mal eben nicht sublimen Konfrontation mit Schuld und Sühne.
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